Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
zukommen würde, und wild entschlossen, mein Bestes zu geben. Mit diesem Job brauchte ich keine Bierkästen mehr zu schleppen und den ollen Joghurt im Kühlregal zu stapeln. Außerdem könnte ich dann an den Samstagen endlich mal länger schlafen und bräuchte nicht mehr um halb fünf in der Frühe aufzustehen. Das Angebot von Jürgen war einfach perfekt.
Das Schützenfest in unserer Stadt war immer der Vorbote der bevorstehenden großen Sommerferien und stellte eines der wenigen Highlights des Jahres dar. In diesem Jahr hatte ich es noch im letzten Moment geschafft, mich mittels Ausreden und Notlügen für einige Stunden von zu Hause loszumachen und mich mit meinen Freundinnen auf der Kirmes zu treffen. Jürgen drängte darauf, dass ich in seiner Firma arbeiten sollte, und ich schob die Sache hinaus und begründete es mit Schulstress und dem bevorstehenden Versetzungszeugnis. Offiziell war ich bei meiner Großmutter, und Oma hatte versprochen, für die nächsten drei Stunden nicht ans Telefon zu gehen. Die Sorge, dass meine Mutter bei Oma aufkreuzen würde, brauchten wir nicht zu haben, denn das Verhältnis zwischen den beiden war auf den Gefrierpunkt gesunken.
Mit Dana, Anka und Carla traf ich mich am Autoskooter. Nachdem wir das Hula-Hoop und den Affenkäfig als neueste Kirmesattraktion ausprobiert und für gut befunden hatten, zogen wir weiter zum Zelt des Schützenpaares. Carlas Eltern waren als Ehrengäste dort, und Carlas Vater musste als Brauereidirektor die gute Qualität seines Bieres fleißig demonstrieren. Carla bekam noch flugs einen Schein zugesteckt, und ihre Mutter bedachte uns alle mit überschwänglichen Küsschen auf unsere Wangen. Wenn Carlas Mutter etwas getrunken hatte, wurde sie immer herzlicher und lustiger, aber sie war bei uns Mädels aufgrund ihrer frischen Art sowieso sehr beliebt.
Beim Verlassen des Zeltes wurde ich auf einmal von einem der zahlreichen Motorradfahrer, die dort ihren Treffpunkt hatten, angesprochen. Ich sei aber eine sympathische Maus, sagte der Typ und lächelte mich freundlich an. Meine Freundinnen kicherten, und ich grinste verlegen. Da ich keine Antwort parat hatte, ging ich einfach weiter und wurde dementsprechend mit Vorwürfen bombardiert.
»Der sah doch supernett aus!«, rief Carla entgeistert, und Anka pflichtete bei: »Und das Motorrad war spitze!«
»Der ist doch viel zu alt«, entgegnete ich entrüstet und setzte nach: »Mindestens achtzehn, wenn ihr mich fragt!«
Meine Freundinnen verstanden die Welt nicht mehr. Ein volljähriger Motorradfahrer war doch »ein echter Knaller«, und für meine Freundinnen bestand der Altersunterschied lediglich aus zwei bis drei Jahren. Alle waren bereits fünfzehn und Dana und Gitta schon sechzehn, und ich war mit meinen Noch-Dreizehn das Küken der Truppe.
»Was möchtest du trinken?«, fragte eine liebenswerte Stimme direkt neben mir, als wir am Bierstand standen.
Oh Gott! Mir wurde heiß und kalt!
Der Motorradfahrer blickte mir direkt in die Augen und sagte: »Keine Angst! Ich wollte nur wissen, wie du heißt und ob ich dir auch eine Cola bestellen soll?«
Die Mädels tuschelten und kicherten unentwegt, und es war mir alles schrecklich peinlich.
Der Nachmittag mit Werner verging im Nu. Werner war nett, unterhaltsam und witzig, und mein Herz schmolz dahin. Irgendwie hatte der Typ Ähnlichkeit mit Pierre Brice, und in seinem linken Ohrläppchen steckte ein kleiner Brilli, was ihm ausgesprochen gut stand. Wir vereinbarten für den nächsten Tag ein Treffen, und meine Freundinnen schlugen vor, durch einen Anruf bei meiner Mutter meine Abwesenheit möglich zu machen.
»Mach dir keine Sorgen!«, rief mir Carla fröhlich nach, »Punkt halb drei rufe ich bei euch an und frage deine Mutter, ob du mir für die Englischarbeit die if-Sätze erklären kannst, okay?«
Und ob das okay war!
Unser Plan ging auf, und mit dem Fahrrad und Bobby im Körbchen strampelte ich am nächsten Tag um kurz nach halb drei in Richtung Treffpunkt. Meine Mutter hatte die Angewohnheit, mir ständig und überall den Hund aufs Auge zu drücken, so als ob Bobby verhindern könnte, dass ihre Christine Blödsinn machte. Es gab praktisch niemanden, der Bobby nicht kannte, und ich mutierte zu »dem Mädchen mit dem kleinen schwarzen Hund«. Der Nachmittag mit Werner war wunderschön. Die Sonne lachte, und mit Bobby auf dem Arm saß ich hinten auf Werners Suzuki und kurvte mit ihm durch die Serpentinen der Waldburg. An einer Lichtung hielten wir an,
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