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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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und drückte Bobby fest an mich. Der kleine Hund schien es immer zu spüren, wenn es mir schlecht ging, und leckte mit stoischer Ruhe meine salzigen Tränen von meinen Händen.
     
    Nach der Schule musste ich mich mit meiner Mutter in der gynäkologischen Praxis von Dr. Kappenstein treffen. Meine Freundinnen waren entsetzt und erschrocken gewesen und hatten in den Unterrichtspausen am Morgen immer wieder versucht, mir Mut und Trost zuzusprechen. Gitta und Dana als die Ältesten regten sich unglaublich über meine Mutter auf, und für alle war klar, dass diese perverse Idee nur von ihr kommen konnte. Jürgen, das sahen auch meine Freundinnen so, schien der einzig Normale in unserer Familie zu sein, und nur er, so waren wir uns sicher, konnte diese Frau von mir fernhalten. »Ich habʼs schon immer gesagt«, schimpfte Gitta, »deine Mutter ist krank. Die ist wirklich verrückt und hat eine echte Vollmeise.«
    Nichtsdestotrotz, ich musste zur Praxis.
    Mit versteinerter Miene erklärte meine Mutter Dr. Kappenstein ihr Anliegen und übersah in ihrer selbstherrlichen Überzeugung seinen skeptischen Blick.
    Die warmen Augen, die über die Goldrandbrille lugten, schauten mich an, und unmerklich nickte mir der Arzt zu. »Dann kommen Sie mal, junges Fräulein«, sagte er mit bestimmtem Ton und schob mich in den Untersuchungsraum. Als er die Tür geschlossen hatte, setzte er sich auf einen kleinen runden Hocker und bat mich, auf dem Untersuchungsstuhl Platz zu nehmen. »Was ist denn bei euch los?«, fragte er kopfschüttelnd, und heulend berichtete ich ihm davon, dass es jedes Mal ein unglaubliches Theater gäbe, wenn ich mich mit einem Jungen verabreden würde. Ich erklärte ihm, dass Werner zwar schon achtzehn Jahre alt sei, aber mich noch nicht einmal geküsst hätte. Der Arzt hörte geduldig zu und sagte kein Wort. Bei der Untersuchung gab er sich große Mühe, mir nicht wehzutun. Vorsichtig führte er die Instrumente ein und fragte mich, ob ich Sport treiben würde. Ich erzählte ihm, dass ich bei Körber geritten sei, und Dr. Kappenstein schien erfreut zu sein. »Ich habe mein Pferd bei Körbers stehen. Eine wunderschöne Fuchsstute. Sie heißt Sissy. Wenn du Zeit und Lust hast, rufst du einfach hier in der Praxis an, und dann kannst du Sissy gerne mal putzen!«
    »Wenn wir jetzt gleich mit deiner Mutter sprechen, dann möchte ich, dass du einfach den Mund hältst, hast du verstanden?«
    »Warum?«, fragte ich, und der Arzt antwortete lächelnd: »Weil du kein Jungfernhäutchen mehr hast und das oft vorkommt, dass gerade bei den Mädchen, die reiten oder die sehr viel Sport treiben, das Hymen, so nennt man das Jungfernhäutchen, reißt, ohne dass das zu spüren ist. Wenn ich DAS deiner Mutter sage, dann hast du schlechte Karten, oder?«
    Im Gespräch mit meiner Mutter erklärte Dr. Kappenstein mit fachlich kompetenter Stimme, dass er mich sehr sorgfältig untersucht habe und keine Anzeichen habe feststellen können, dass ich bereits mit einem Mann Verkehr gehabt hätte. Er drückte mir zum Abschied fest die Hand, und die Prozedur hatte ein Ende. Dr. Kappenstein schien einer der normalen Menschen in meinem Umfeld zu sein, und ich war ihm sehr dankbar für seine diskrete Art der Formulierung. Er hatte es geschafft, mir trotz der gynäkologischen Untersuchung ein Stück meiner Ehre und Intimität zu belassen und gleichzeitig meiner Mutter eine befriedigende Antwort zu geben. Geblieben ist jedoch die Erinnerung an das Gefühl der Scham und Hilflosigkeit bei dieser Untersuchung und ihr beabsichtigter Zweck. Jedes Mal, wenn ich heute zum Frauenarzt gehe, muss ich unwillkürlich an Dr. Kappenstein und meine Mutter denken und mich konzentrieren, um bei den Untersuchungen nicht zu verkrampfen.
    Am Nachmittag fand ich mich entsprechend meiner Zusage in Jürgens Firma an meinem neuen Arbeitsplatz ein. Der stark übergewichtige und ewig schwitzende Betriebsleiter, Erwin Pluger, musterte mich mit gierigem Blick. Ich stand neben einer der großen Wickelmaschinen und sehnte Jürgens Eintreffen herbei. Erwin starrte mich unentwegt an und glotzte auf meine braunen schlanken Beine. Es war Juli und mächtig heiß, und so trug ich lediglich knappe Shorts und ein T-Shirt.
    »Erwin«, ertönte die dunkle Stimme von Jürgen aus den großen Fluren. »Du kannst Feierabend machen. Ich erkläre Christine selber, wie sie die Spulen zu wickeln hat. Und grüß Maria von mir! Habt ihr nicht bald Hochzeitstag?«
    »Ja, nächstes Wochenende«, antwortete

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