Ein Feuer Auf Der Tiefe
verrückt. Werden diese beiden ein wissenschaftliches Genie aus mir machen? Werden die von Holzschnitzerin eine Abenteurernatur aus ihr machen? He, he. Holzschnitzerin ist eine großartige Züchterin, doch nicht einmal sie weiß sicher, wie unsere neuen Seelen sein werden. Oh, ich kann es gar nicht erwarten, wieder sechs zu sein!«
Schreiber und Pilger und Johanna hatten nur drei Tage gebraucht, um aus Flensers Reich zum Hafen von Holzschnitzerheim zu segeln. Diese Armee würde fast dreißig Tage brauchen, um zurück zu dem Ort zu gehen, wo Johannas Abenteuer begonnen hatte. Auf der Karte hatte der Weg mühselig ausgesehen, wie er sich hin und her durch das Fjordland schlängelte. Doch die ersten zehn Tage waren erstaunlich leicht gewesen. Das Wetter blieb trocken und warm. Es war, als würde sich der Tag des Überfalls bis in alle Ewigkeit erstrecken. Einen Trockenwindsommer nannte es Holzschnitzerin. Im Sommer sollte es gelegentlich Stürme geben, zumindest bewölkten Himmel. Statt dessen kreiste die Sonne endlos über den Baumgipfeln, und wenn sie ins Freie gelangten – niemals für lange Zeit, und nur, wenn Feilonius es für zweifellos sicher hielt –, war der Himmel klar und fast wolkenlos.
Tatsächlich wurde das Wetter schon etwas beschwerlich. Mittags konnte es geradezu heiß werden. Es wehte ein stetiger und trockener Wind. Der Wald selbst trocknete allmählich aus, sie mussten sich mit dem Feuer vorsehen. Und bei einer ständig überm Horizont stehenden Sonne und wolkenlosem Himmel konnten sie von Spähern über viele Meilen hinweg gesehen werden. Besonders Scrupilo ärgerte sich. Er hatte nicht vorgehabt, seine Kanonen unterwegs abzufeuern, wohl aber, ›seine‹ Soldaten etwas öfter im Freien auszubilden.
Scrupilo war Ratsmitglied und der Chefingenieur der Königin. Seit seinem Experiment mit der Kanone hatte er auf dem Titel ›Befehlshaber der Kanoniere‹ bestanden. Johanna war der Ingenieur immer kurz angebunden und ungeduldig erschienen. Seine Glieder waren fast ständig in Bewegung, und das sprunghaft und abgehackt. Er verbrachte fast ebenso viel Zeit mit dem Datio, wie die Königin oder Wanderer Wickwracknarb, interessierte sich jedoch sehr wenig für menschliche Angelegenheiten. »Er ist für alles blind, außer für Maschinen«, sagte Holzschnitzerin einmal über ihn, »aber so habe ich ihn geschaffen. Er hat viel erfunden, auch schon vor deiner Ankunft.«
Scrupilo hatte sich in seine Kanonen verliebt. Für die meisten Rudel war das Abfeuern der Dinger eine schmerzhafte Erfahrung. Seit der ersten Erprobung hatte Scrupilo sie immer wieder abgefeuert, während er die Rohre, das Pulver und die Explosivgranaten zu verbessern versuchte. In seinem Fell hatte das Pulver Dutzende von Brandstellen hinterlassen. Er behauptete, dass Kanonendonner in der Nähe den Verstand klarer machte – aber fast alle anderen stimmten darin überein, dass man davon verblödete.
Während der Rastpausen war Scrup ein vertrauter Anblick, wie er die Reihe auf und ab ging und auf seine Kanoniere einredete. Er behauptete, selbst der kürzeste Halt sei eine Gelegenheit zum Üben, denn im wirklichen Gefecht würde alles vom Tempo abhängen. Er hatte besondere Epauletten entworfen, die den Ohrenklappen nyjoranischer Kanoniere nachgestaltet waren. Sie bedeckten die Tieftonohren überhaupt nicht, dafür aber die Stirn- und Schultertrommelfelle des Glieds, welches die Ladung zündete. Die Klappen herabzuziehen, war eigentlich ziemlich betäubend für den Verstand, doch für die Augenblicke unmittelbar um das Abfeuern lohnte es sich. Scrupilo trug seine eigenen Klappen ständig, allerdings hochgeklappt. Sie sahen aus wie dumme kleine Flügel, die aus seinem Kopf und seinen Schultern ragten. Er glaubte offensichtlich, das mache einen verwegenen Eindruck – und tatsächlich taten sich auch seine Mannschaften damit wichtig, die Ausrüstung ständig zu tragen. Nach einer Weile sah sogar Johanna, dass das Üben Früchte trug. Zumindest konnten sie die Kanonenrohre augenblicklich herumschwenken, sie mit Pulver- und Kugelattrappen laden und in der Klauensprache das Gegenstück zu ›BUMM!‹ rufen.
Die Armee führte viel mehr Schießpulver als Nahrung mit sich. Die Rudel sollten vom Walde leben. Johanna hatte wenig Erfahrung, wie man in einer Atmosphäre kampierte. Waren Wälder für gewöhnlich derart reich? Gewiss hatten sie kaum etwas mit den Stadtwäldern auf Straum gemein, wo man eine Sondergenehmigung brauchte, um die
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