Ein Feuer Auf Der Tiefe
leichter gewesen, den ersten Teil der Reise zur See zurückzulegen, doch die Flenseristen verfügten hoch in den Fjordländern verborgen über Beobachter. Jede Schiffsbewegung – sogar tief im Holzschnitzergebiet – würde dem Norden bekannt werden. So reisten sie über Waldwege, durch Gebiete, die Feilonius von feindlichen Agenten gesäubert hatte.
Anfangs war die Reise sehr leicht, zumindest für die mit den Wagen. Johanna fuhr in einem Wagen bei der Nachhut zusammen mit Holzschnitzerin und dem Datio. Sogar ich fange an, das Ding wie ein Orakel zu behandeln, dachte Johanna. Wie schade, dass es nicht wirklich die Zukunft voraussagen konnte.
Das Wetter war so schön, wie Johanna es nur je auf der Klauenwelt erlebt hatte, ein endloser Nachmittag. Es war seltsam, dass so anhaltend schönes Wetter sie derart nervös machte, doch sie konnte nichts dagegen tun. Es ähnelte alles so sehr ihrer ersten Begegnung mit dieser Welt, als alles… schiefgegangen war.
Während der ersten Tage der Reise, als sie sich noch auf heimischem Gebiet befanden, zeigte Holzschnitzerin auf jeden Gipfel, der in Sicht kam, und versuchte, seinen Namen für sie in Samnorsk zu übersetzen. Nach sechshundert Jahren kannte die Königin ihr Land gut. Sogar die Fleckchen Schnee – diejenigen, die den ganzen Sommer über liegen blieben – waren ihr vertraut. Sie zeigte Johanna ein Skizzenbuch, das sie mitgenommen hatte. Jede Seite stammte aus einem anderen Jahr und stellte ihre speziellen Schneeflecken dar, wie sie an dem gleichen Tag im Sommer ausgesehen hatten. Wenn man die Seiten durch die Finger laufen ließ, war es fast eine Art grobes bewegtes Bild. Johanna konnte sehen, wie die Flecken sich bewegten, wie sie mehrere Jahrzehnte lang wuchsen und sich dann zurückzogen. »Die meisten Rudel leben nicht lange genug, um es zu empfinden«, sagte Holzschnitzerin, »aber für mich sind die Flecken, die den ganzen Sommer über bleiben, wie Lebewesen. Siehst du, wie sie sich bewegen? Sie sind wie Wölfe, von unseren Ländern durch das Feuer ferngehalten, das die Sonne ist. Sie streifen herum, wachsen. Manchmal vereinigen sie sich, und ein neuer Gletscher beginnt seinen Weg zum Meer.«
Johanna lachte ein wenig nervös. »Sie sind am Gewinnen?«
»In den letzten vier Jahrhunderten nicht. Die Sommer sind oft heiß und windig gewesen. Auf lange Sicht? Ich weiß nicht. Und es ist mir auch nicht mehr ganz so wichtig.« Sie wiegte eine Weile ihre kleinen Welpen und lachte sanft. »Wanderers Kleine denken noch nicht einmal, und ich fange schon an, meine große Perspektive zu verlieren!«
Johanna streckte die Hand aus, um ihren Hals zu streicheln. »Aber es sind auch deine Welpen.«
»Ich weiß. Die meisten meiner Welpen habe ich von anderen Rudeln bekommen, doch diese sind die ersten, die ich behalte, damit sie ich werden.« Ihr Blindes schnüffelte an einem der Jungen.
Es zappelte und machte ein Geräusch an Johannas Hörgrenze. Johanna hielt das andere auf dem Schoß. Klauenwelpen sahen eher wie Seesäuger als wie Hunde aus. Ihr Hals war so lang im Vergleich zum Körper. Und sie schienen sich viel langsamer zu entwickeln als das Hündchen, das sie und Jefri aufgezogen hatten. Selbst jetzt noch hatten sie anscheinend Mühe, den Blick zu fokussieren. Sie bewegte die Finger langsam vor dem Kopf eines Welpen hin und her; seine Versuche, mit dem Blick zu folgen, waren komisch.
Und nach sechzig Tagen konnten Holzschnitzerins Welpen nicht richtig gehen. Die Königin trug zwei besondere Jacken mit Tragetaschen an den Seiten. Den größten Teil der Wachzeit des Tages blieben ihre Jungen dort drin und saugten durch des Fell an ihrem Bauch hindurch. In mancherlei Hinsicht behandelte Holzschnitzerin ihren Nachwuchs wie ein Mensch. Sie war sehr unruhig, wenn sie aus ihrem Blickfeld genommen wurden. Sie schmuste gern mit ihnen und spielte mit ihnen kleine Geschicklichkeitsspiele. Oft legte sie beide auf den Rücken, stukte die acht Pfoten der Reihe nach an und dann plötzlich den einen oder den anderen in den Bauch. Die beiden zappelten wütend unter dem Angriff und fuchtelten mit den Beinchen in alle Richtungen. »Ich zwicke den, dessen Pfote zuletzt berührt worden ist. Wanderer ist meiner würdig. Diese beiden denken schon ein bisschen. Siehst du?« Sie zeigte auf das Junge, das sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte und so das überraschende Kitzeln größtenteils vermied.
In anderer Hinsicht war die elterliche Fürsorge der Klauenwesen fremdartig, fast
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