Ein Feuer Auf Der Tiefe
verzweifelt. Ich fürchte, ich verstehe es.«
Wie kannst du das? Und wenn, wie kannst du uns dann vergeben? Doch laut sagte Ravna nur: »Es tut mir Leid.«
Die Königin bestieg ihren Wagen, und sie fuhren über den Berghang auf die Burgmauern zu. Ravna blickte noch einmal zurück. Da unten lag die ADR wie ein großer sterbender Falter. Ihre oberen Antriebsdorne ragten hundert Meter weit in die Luft. Sie glänzten in nassem, metallischem Grün. Es war nicht direkt eine Bruchlandung gewesen. Selbst jetzt fing der Agrav einen Teil vom Gewicht des Schiffes ab. Doch die Antriebsdorne an der Unterseite waren eingedrückt. Hinter dem Schiff fiel der Hang steil ab zum Wasser und den Inseln. Die nach Westen ziehende Sonne warf dunstige Schatten über die Inseln und auf die Burg jenseits der Meerenge. Ein Phantasiebild mit Burgen und Sternenschiffen.
Der Bildschirm an ihrem Handgelenk zeigte gelassen den Countdown der Sekunden an.
»Stahl hat rings um die Kuppel Sprengladungen angebracht.« Holzschnitzerin wies mit ein paar Nasen nach oben. Ravna folgte der Geste mit dem Blick. Die Bögen glichen eher der Kathedrale einer Fürstin als einem militärischen Bauwerk: rosa Marmor, der den Himmel herausforderte. Und wenn das alles herunterkam, würde es mit Sicherheit das darunter stehende Raumschiff zerstören.
Holzschnitzerin sagte, dass Pham jetzt drinnen sei. Sie fuhren hinein, durch dunkle, kühle Räume. Ravna sah Reihe um Reihe von Kälteschlaf-Zellen. Wie viele mag man wieder zum Leben erwecken können? Ob wir es je herausfinden werden? Die Schatten waren tief. »Du bist sicher, dass Stahls Truppen weg sind?«
Holzschnitzerin zögerte, ihre Köpfe starrten in unterschiedliche Richtungen. Ravna konnte den Ausdruck der Rudel noch nicht deuten. »Ziemlich sicher. Jeder in der Burg müsste hinter einer Menge Stein stecken, oder meine Suchtrupps hätten ihn gefunden. Und vor allem haben wir die Reste von Stahl.« Die Königin schien Ravnas fragenden Gesichtsausdruck perfekt deuten zu können. »Du wusstest das nicht? Anscheinend ist Fürst Stahl hier heruntergekommen, um alle Sprengladungen zu zünden. Es wäre Selbstmord gewesen, aber dieses Rudel war schon immer wahnsinnig. Jemand hat ihn aufgehalten. Hier war alles voll von Blut. Zwei von ihm sind tot. Wir haben die übrigen gefunden, wie sie herumirrten, ein winselndes Häufchen… Wer immer Stahl erledigt haben mag, er steckt auch hinter dem schnellen Rückzug. Dieser jemand tut sein Bestes, um jede Konfrontation zu vermeiden. Er wird nicht so bald wiederkommen, obwohl ich fürchte, dass ich irgendwann einmal dem lieben Flenser gegenüberstehen werde.«
Unter den gegebenen Umständen rechnete Ravna damit, dass dieses Problem niemals Gestalt annehmen würde. Ihr Datio zeigte fünfundvierzig Stunden bis zur Ankunft der Pestflotte.
Jefri und Johanna waren bei ihrem Sternenschiff unter der Hauptkuppel. Sie saßen auf den Stufen der Landetreppe und hielten sich bei den Händen. Als die breiten Tore aufgingen und Holzschnitzerins Wagen hereinfuhr, stand das Mädchen auf und winkte. Dann sahen sie Ravna. Der Junge ging erst schnell und dann langsamer über die große freie Fläche. »Jefri Olsndot?«, rief Ravna leise. Er hatte eine vorsichtige, würdevolle Haltung, die überhaupt nicht zu seinem Alter von neun Jahren zu passen schien. Der arme Jefri hatte viel verloren und so lange mit so wenig gelebt. Sie stieg vom Wagen und ging ihm entgegen.
Der Junge trat aus dem Schatten hervor. Er war von einer Meute kleiner Rudelglieder umgeben. Eins davon hing an seiner Schulter, andere wimmelten um seine Füße, anscheinend ohne ihm jemals in den Weg zu kommen, noch andere gingen vor und hinter ihm. Jefri blieb ein Stück von ihr entfernt stehen. »Ravna?«
Sie nickte.
»Könntest du ein bisschen näher kommen? Die Denklaute der Königin sind zu nahe.« Es war immer noch die Stimme des Jungen, doch seine Lippen hatten sich nicht bewegt. Sie ging die paar Meter, die sie noch trennten. Welpen und Junge kamen ihr zögernd entgegen. Aus der Nähe sah sie, dass seine Kleidung zerrissen war und seine Schultern, Ellbogen und Knie mit etwas bedeckt war, das Wundverbände zu sein schienen. Das Gesicht sah frisch gewaschen aus, doch seine Haare waren ein verfilztes Gewirr. Er schaute ernst zu ihr auf, dann hob er die Hände, um sie zu umarmen. »Danke, dass du gekommen bist.« Seine Stimme klang erstickt, aber er weinte nicht. »Ja, danke, und danke dem armen Herrn Blaustiel.«
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