Ein Feuer Auf Der Tiefe
Schließlich brachte sie eine Hand unter ihrer Decke hervor und langte in die Schüssel. Köpfe erhoben sich rings um sie, und kollernde Kommentare wurden zwischen den beiden Seiten des Bootes ausgetauscht.
Ihre Finger schlossen sich um etwas Weiches und Kaltes. Sie hob es ins Sonnenlicht. Der Körper war graugrün, seine Seiten glänzten im Licht. Die Kerle im anderen Rumpf hatten die kleinen Beine ausgerissen und den Kopf abgetrennt. Was übrig blieb, war nur zwei oder drei Zentimeter lang. Es sah aus wie Filet von Meeresfrüchten. Einst hatten sie solche Speisen gern gegessen. Doch die waren gekocht gewesen. Beinahe ließ sie das Ding fallen, als sie fühlte, wie es in ihrer Hand zitterte.
Sie brachte es nahe an den Mund, berührte es mit der Zunge. Salzig. Auf Straum würden einen die meisten Meeresfrüchte sehr krank machen, wenn man sie roh aß. Wie sollte sie es wissen, ganz allein ohne Eltern oder ein lokales Kom-Netz? Sie fühlte Tränen aufsteigen. Sie sagte ein schmutziges Wort, stopfte sich das grüne Ding in den Mund und versuchte zu kauen. Fade, mit der Konsistenz von Nierenfett und Knorpel. Sie würgte, spuckte es aus… und versuchte ein anderes zu essen. Alles in allem brachte sie Teile von zweien hinunter. Vielleicht war es so am besten; sie würde abwarten und sehen, wie viel davon wieder hoch kam. Sie lehnte sich zurück und sah, wie Augenpaare sie betrachteten. Das Kollern mit der anderen Seite des Bootes nahm wieder zu. Dann kam einer von ihnen auf sie zu und brachte einen Ledersack mit einem Verschlussstopfen. Eine Feldflasche.
Die Kreatur war die größte von allen. Der Anführer? Er brachte seinen Kopf nahe an ihren und den Hals der Flasche an ihren Mund. Der Große schien scheu zu sein, vorsichtiger als die anderen, wenn er ihr nahe kam. Johannas Augen wanderten seine Flanken entlang nach hinten. Hinter dem Rand der Jacke war das Fell seines Hinterteils größtenteils weiß… und tief von einer Y-förmigen Narbe durchzogen. Dieser hatte Vati umgebracht.
Johannas Angriff war nicht geplant, vielleicht klappte er gerade deshalb so gut. Sie warf sich an der Feldflasche vorbei und schlang ihren freien Arm um den Hals des Wesens. Sie wälzte sich über das Tier und drückte es gegen den Bootsrumpf. Allein war es kleiner als sie und nicht stark genug, um sie abzuschütteln. Sie fühlte seine Krallen durch die Decken reichen, ohne sie indes zu verletzen. Sie legte ihr ganzes Gewicht auf das Rückgrat des Wesens, krallte sich fest, wo Kehle und Kiefer aufeinandertrafen, und begann seinen Kopf gegen das Holz zu schlagen.
Dann waren die anderen über ihr, Schnauzen, die unter sie fuhren, Kiefer, die ihren Ärmel packten. Sie fühlte Reihen von Zähnen gerade knapp durch den Stoff stechen. Ihre Körper surrten mit einem Klang aus ihren Träumen, einem Klang, der direkt durch ihre Kleidung drang und ihre Knochen erzittern ließ.
Sie zerrten ihre Hand von der Gurgel des anderen weg und drehten sie herum, sie fühlte, wie die Pfeilspitze innerlich an ihr riss. Doch eines konnte sie noch tun: Johanna stieß sich mit den Füßen ab, rammte ihren Kopf gegen den Kieferansatz des anderen und schmetterte so die Oberseite seines Kopfes gegen den Bootsrumpf. Die Körper rings um sie krampften sich zusammen, und sie wurde auf den Rücken geschleudert. Schmerz war das Einzige, was sie jetzt fühlen konnte. Weder Wut noch Angst konnten sie bewegen.
Dennoch nahm ein Teil von ihr die vier noch wahr. Sie hatte ihnen wehgetan. Sie hatten ihnen allen wehgetan. Drei taumelten umher und stießen pfeifende Laute aus, die diesmal aus ihren Mäulern zu kommen schienen. Der mit der Narbe am Hintern lag zuckend auf der Seite. Sie hatte eine sternförmige Wunde oben in seinen Kopf geschlagen. Blut tropfte an seinen Augen vorbei, rote Tränen.
Minuten verstrichen, und das Pfeifen hörte auf. Die vier Kreaturen drängten sich zusammen, und das vertraute Zischen begann wieder. Johannas Brust blutete wieder.
Sie starrten einander eine Zeit lang an. Sie lächelte ihren Feinden entgegen. Sie konnten verletzt werden. Sie fühlte sich besser denn je seit der Landung.
ELF
Vor der Flenser-Bewegung war Holzschnitzerheim der berühmteste Stadtstaat westlich der Eisfänge gewesen. Sein Gründer blickte auf sechs Jahrhunderte zurück. In jener Zeit war das Leben im Norden härter gewesen: Schnee hatte den größten Teil des Jahres hindurch sogar die Tiefebenen bedeckt. Der Holzschnitzer hatte allein angefangen, ein
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