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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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und dachte: das neue Leben.

    6.

    Um fünf vor neun standen Helmut und Sabine unter dem Vordach und sahen den dicken Hummeln zu, die in die zarten Blüten krabbelten. Helmut machte sich lustig über die Samenhöschen der Hummeln. Er wollte Sabines Gesicht vor Buchs Ankunft zum Lächeln bringen. Es gelang ihm nicht. Erst als das schöne alte silberfarbene Mercedes-230-Coupé heranbog, lächelte sie. Die Frauen mußten sich auf dem engeren Rücksitz einrichten. Helmut sagte, das tue ihm gut, die Frauen so eingezwängt zu wissen. Wohl zuviel de Sade gelesen heute nacht, sagte Klaus Buch. Darum hast du auch deinen vierbeinigen Folterknecht nicht daheimgelassen. Sollte der nach Klaus’ Hand schnappen, wenn die gerade herunterschalte, sei die Katastrophe sicher. Endlich eine Katastrophe, sagte Helmut. Wir lassen ihn da, sagte Sabine. Jetzt motz nicht rum und fahr, sagte Hel.
    Du magst mich nicht mehr, gell, sagte Klaus in dem mutlosen Ton. Wohin geht’s überhaupt? Auf den Höchsten, sagte Helmut, und gab die Richtungen an.
    Aber Klaus konnte die Hand nicht an den Schaltknüppel legen, weil er Angst hatte, Otto werde das ausnützen und seine Hand ablecken. Wir lassen ihn da, rief Sabine, schrie sie fast. Hel, noch schriller: Ich fahre. Klaus Buch mußte sich nach hinten setzen. Jetzt hatte Hel ihre Brille nicht dabei. Sabine bot ihre an. Hel probierte sie. Zur allgemeinen Freude paßte sie. Wie schön sie dich entstellt, sagte Klaus. Hel streichelte Otto. Das tat Helmut gut. Das Hinterland, sagte er, ist ein Paradies.
    Er versprach eine Wanderung durch schöne stille Hochwälder. Dann einen Rundblick von Vorarlberg bis nach Bern. Dann spürte er, wie sein Ton sich heben wollte. In den Wäldern werde es sich gehen wie in lauter Domen. Bloß das Licht werde lebendiger und die Luft besser sein. Das Wichtigste an diesen Wäldern sei, daß sie noch das alte Gefühl der Endlosigkeit erzeugten.
    In Limpach ließ er halten. Er sprang aus dem Auto. Plötzlich war er von einem Eifer ergriffen, der ihm selber fremd war. Er wußte nicht mehr, ob er mit Sabine von diesem Ort aus gewandert war. Er wollte so tun, als sei er ganz sicher. Er ließ aussteigen. Ja, von hier aus zu Fuß. In den Wald. Im Wald bog er von der geteerten Straße ab. Nach fünf Minuten Wegs wurde das Unterholz so dicht, daß man nicht mehr durchkam. Otto rannte aus dem Wald hinaus. Man folgte ihm. Inzwischen regnete es. Da das Vorwärtskommen zwischen Waldrand und Wiese auch beschwerlich war, rannte man, noch einmal unter Helmuts Führung, quer über die Wiese auf eine Baumgruppe mit Kreuz zu. Helmut hoffte, hier das Ende des Regens abwarten und dann auf einem Feldweg weiterwandern zu können. Unter der Baumgruppe stand eine Bank, auf die sie sich fallen ließen. Helmut wußte nicht mehr, wo sie waren. Klaus Buch erinnerte daran, daß er, als sie vom Auto weggegangen waren, gefragt hatte, was man tun werde, falls es regne. Wir gingen ja durch den schönen, domhohen lichtgewaltigen und duftvollen Unendlichkeits-Wald, habe Helmut getönt. Und jetzt, wo sei der Wald, der schöne, hohe, licht- und duft- und unendlichkeitsvolle. Weiter droben komme ein solcher Wald, sagte Helmut, schrie er mehr als er sagte. Er war einfach erregt. Wieviel weiter droben? 300 Meter vielleicht, mein Gott, ob jetzt um jeden Meter gekämpft werden müsse, wo es sowieso gleich aufhöre zu regnen. So, sagte Klaus Buch, woher denn das Wetter komme, bitte. Alle sahen ihn an. Von Westen, sagte Helmut in einem Ton, der geduldige Nachsicht mit dem Frager verriet.
    Eben nicht, sagte Klaus Buch im Ton, in dem man sagt: Hereingefallen. Helmut sagt, sagte Klaus Buch, das hört gleich wieder auf, weil er nur in den hellen Westen schaut. Aber da steckt man doch wenigstens einmal den Finger in den Mund und hält ihn rasch in den Wind, dann weiß man, daß heute das Wetter von Osten kommt. Ich sage euch eins, wir rennen jetzt sofort los, in 10 Minuten regnet es, daß wir uns hier nicht mehr bergen können. Aber wohin sollen wir rennen, fragten die Frauen. Und zwar fragten sie Klaus Buch. Dort hinter Baumkronen habe er ein Hofdach entdeckt. Und er rannte schon voraus. Die Frauen folgten. Otto rannte hinter Sabine her. Also blieb Helmut nichts übrig, als auch zu folgen.
    Naß vom Regen und vom Schwitzen verschnauften sie unter dem Scheunenvordach. Klaus Buch, der lange vor den Frauen und Helmut angekommen war, hatte ihnen entgegengelacht. Er schien kein bißchen außer Atem zu sein. Also ein Wald wäre

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