Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
Vom Netzwerk:
einmal der Sohn eines Patentanwalts. Also die deutschen Bauern, sagte Hel Buch in einem Ton, der seine Künstlichkeit eher betonte als verbarg, ließen sich ganz schön aushalten. Auf ihren Reisen im Orient hätten sie und ihr Mann wieder und wieder gesehen, daß es eine Landwirtschaft gebe, die jahrelang ohne Wasser auskomme, weil die Bauern sich eben auf dürrebeständige Produkte einstellen würden. Einem türkischen Bauern falle es doch nicht ein, Dürreprämien erschwindeln zu wollen.
    Helmut fragte, ob es nicht doch ein bißchen viel verlangt sei von den deutschen Bauern, daß sie sich auf dürrebeständige Produkte umstellen sollten, wenn eine Dürre nur alle zehn oder zwanzig Jahre vorkomme. Er hoffte, der Satz, den er leider nicht hatte zurückhalten können, sei ihm wenigstens im Ton freundlich gelungen. Er ärgerte sich einfach, weil niemand den Wald lobte. Das war nun wirklich ein Musterwald. Und in diesem vor Nässe strahlenden Wald giftete dieser Klaus Buch über Dürreprämien, von denen er, wie er zugab, an diesem Morgen zum ersten Mal in der Zeitung gelesen hatte. Und sie vergißt den Wald und versucht sofort, der offensichtlich schwachen Position ihres Mannes zu Hilfe zu kommen. Und er selber ist immer noch so naiv und kritisiert die, anstatt dem Blödsinn, den sie reden, begeistert zuzustimmen. Nur durch Zustimmung kommst du weg. Theoretisch ist dir das klar. Mein Gott, wie schön wäre es jetzt, mit Sabine allein. Sie sprachen selten, wenn sie wanderten. Höchstens daß Sabine einmal sagte, was sowieso beide sahen. Sie sagte Eine Bank, wenn sie vor einer Bank standen. Und wenn er gerade dachte, ob sich das Wetter hält, sagte sie: Ich glaube nicht, daß es zum Regnen kommt. Und es war dann völlig egal, ob es zum Regnen kam oder nicht, weil es auch völlig egal war, was einer sagte oder gesagt hatte oder je sagen würde. Meistens hob er dann seine Stimme an und sagte: Ach du. Einziger Mensch. Sabine. Sie kamen durch Unterhomberg. Eine Herde junger Schweine rannte über ihr Abgeweidetes her. Otto wütete. Sie fütterten die zierlichen Schweine mit Gras, das sie außerhalb des Zauns abrissen. Helmut hatte angefangen mit dieser Fütterung. Die Schweine drängten einander gegen die geladene Umzäunung, weil die Wanderer nicht genug Gras rupfen und das Gras nicht weit genug über den Zaun hineinwerfen konnten. Dabei kriegten immer die vordersten die elektrische Ladung auf die rosigen Wülste ihrer kleinen Mäuler. Die rosigen Wülste erinnerten Helmut an Helenes Brustspitzen.
    Sie waren gerade aus der Ortschaft draußen, da hörten sie hinter sich Schreie, Rufe, hallende Hufschläge. Sie rannten sofort zur Seite. Durch den Ort kam ein Pferd. In wilder Flucht. Die Häuser wirkten klein gegen das Pferd. Vielleicht weil es so große Sätze machte. Mit einem verkrampften, eigensinnig zur Seite gerichteten Kopf donnerte es zwischen den Häusern heraus. Die Vorderbeine gingen so gleichzeitig hoch und nieder, daß sie wirkten wie gefesselt. Schon hatte sich ein Mann dem Pferd in den Weg stellen wollen, aber da das Pferd sich seinetwegen nicht mäßigte, hatte er im letzten Augenblick einen Sprung zur Seite machen müssen. Plötzlich stand das Pferd. Etwa in der Mitte zwischen ihnen und dem Ort. Zwei Männer, die ihm nachgerannt waren, holten es ein. Der, dem es wahrscheinlich gehörte, überholte es zuerst, redete ihm gut zu, trat von vorn auf es zu und wollte es am Halfter nehmen. Aber in diesem Augenblick, als seine Hand sich dem Gesicht des Pferdes näherte, ging es vorn hoch und raste wieder los. Es raste an den Wanderern im vollen Karacho und mit krachenden Fürzen vorbei. Helmut hatte Mühe, Otto zurückzuhalten. Wahrscheinlich wurde das Pferd durch sein Gekläff noch verrückter. Es war ein schöner, auch auf dem freien Weg immer noch riesiger Fuchs mit einer Blesse im Gesicht. Klaus schrie Otto an: Halt’s Maul, Köter! Warf Hel seine Jacke zu und rannte dem Pferd nach. Hel rief halblaut: Nicht, Klaus … Klaus!
    Als das Pferd weit draußen wieder zum Stehen kam und am Wiesenrand graste, minderte Klaus sein Tempo. Je näher er dem Pferd kam, desto langsamer ging er. Zuletzt bog er weit aus und näherte sich dem Pferd genau von der Seite. Ganz zuletzt sah man ihn nach der Mähne greifen und schon saß er droben. Das Pferd rannte wieder los. Aber Klaus saß. Klein und eng. Irgendwie anliegend. Weil der Weg zwischen Bäume einbog und abwärts ging, sah man die beiden nicht mehr. Die vom Dorf waren

Weitere Kostenlose Bücher