Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
Vom Netzwerk:
kriegte Klaus Buch einen Lachanfall, daß er aufstehen mußte. Der Höchste, rief er immer wieder, der Höchste, Hel, was sagst du dazu, wir sind auf dem Höchsten, also diesen Berg würde ich einfach den Allerhöchsten taufen.
    Helmut war diese Schau peinlich wegen der Bedienung und wegen der anderen Gäste, die offenbar hier heroben ihren Urlaub verbrachten. Auch wegen Klaus selber war es ihm peinlich. Helmut hatte das Gefühl, Klaus finde die Tatsache, daß dieser Berg der Höchste hieß, gar nicht so komisch, wie er tat. Er wollte das komischer finden, als er es fand. Hel hatte sich von Klaus zu einem Lachen hinreißen lassen, das zwar hoch und hell, aber noch viel künstlicher klang als das von Klaus.
    Halms dürften das, bitte-bitte, nicht falsch verstehen, sagte sie. Für sie und Klaus sei Wanderung etwas, was nicht unter sechs Stunden zu erledigen sei. Daß man nach einer Stunde am Ziel sei, sei für sie eben wahnsinnig komisch. Helmut sagte, bei schönem Wetter sei der Rundblick von hier schon ziemlich einmalig. Als Klaus Buch wieder lachen wollte, rief Hel: Klaus, bitte, Helmut wird ganz traurig, wenn du so lachst.
    Er versuchte, einen Blick hinzukriegen, den sie überhaupt nicht verstehen konnte. Er wollte rätselhaft aussehen. Und hart. Und undurchdringlich. Er hatte das Gefühl, das gelinge ihm nicht, weil er plötzlich nur noch ihre Nase anschaute. Also so eine Nase. So etwas von einem Näschen. Er würde nicht wahnsinnig werden. Als er zwanzig war, hatte sich bei ihm allmählich eine Empfindung gebildet, die hieß: du wirst nicht wahnsinnig werden, niemals. Er bemerkte, daß Sabine sein Versinken bemerkt hatte. Er nickte ihr aus der Tiefe zu und sagte: Schmeckt’s.
    Klaus Buch fluchte auf das Essen. Erstens war ihm die Panierung zu dick, zweitens war das Schweinefleisch, drittens war der Salat ein Matsch. Er tat nichts, um die Bedienung zu schonen. Die stand mit zementfarbenem, schwerem Gesicht unter einem künstlichen Haarturm und schien unglücklich zu sein. Als sie sich, von Vorwürfen beladen, endlich stumm umdrehte und mühsam wegging, sagte Hel leise, dieser Oldtimer-Minirock der Bedienung sei schon sehenswert. Ein ziemlich einmaliger Rundblick eben, sagte Klaus Buch, prustete los, da mußte Hel auch wieder. Beide ließen vor Lachen ihre Bestecke auf die Platten fallen. Helmut und Sabine mußten überhaupt nicht lachen. Sabine versuchte wenigstens, ein pfiffiges Gesicht zu machen. Helmut probierte in einem ganz und gar scherzhaften Ton zu sagen: Kinder benehmt euch. Hel sah ihn mit einem Wonneblick an und sagte: Ja, Papa. Helmut versuchte, den Ton fortzusetzen mit: Sonst gibt’s. Dabei sah er sie ein bißchen länger an als es für den kurzen Satz nötig gewesen wäre. Sabine sagte: Das Wetter wird besser.
    Bevor Klaus Buch, der jetzt offenbar soweit war, über alles ins Lachen verfallen zu können, wieder loslachte, sagte Hel: Pscht.
    Helmut rief die Bedienung, sagte, er wolle zahlen. Das Essen sei ausgezeichnet gewesen. Es machte vierundfünfzigzwanzig, Helmut sagte: Sechzig. Beteiligungsversuche Klaus Buchs tat er rigoros ab.
    Helmut wollte wenigstens auf dem Rückweg noch Wälder bieten. Er bog gleich unter dem Restaurant von der Landstraße ab. Sie traten in einen geräumigen Wald. Helmut hätte es gern gehört, wenn jemand etwas über die hohen Stämme gesagt hätte oder über das grüne Licht oder über den Waldduft.
    Als Otto plötzlich verschwunden war und auf Helmuts und Sabines Rufe nicht kam, steckte Helene Buch vier Finger in ihren Mund und pfiff, daß der Wald gewaltig hallte und Otto sofort zurückkam. Helmut hatte das Gefühl, Helene Buch habe den Wald begriffen. Konnte sie ihn nicht noch einmal so zum Klingen bringen? Aber Klaus Buch schimpfte, seit man, kurz vor dem Wald, an einem Kornfeld vorbeigegangen war, über die Bauern, die in diesem Jahr, allein in BadenWürttemberg, 650 Millionen Mark Dürreprämien kassieren würden und man solle sich einmal diese Felder anschauen, wie die dastünden, eine Ähre so schön voll wie die andere. Ob sie auf dem Weg vom See bis hier herauf irgendwo einen Dürreschaden gesehen hätten? Er nicht. Aber diese Schwindler kassieren und kassieren. Na ja, er sage das nur, weil er neidisch sei. 650 Millionen Mark Schwindelprämien, und er kriege davon keine Mark ab, das erfülle ihn mit Trauer und Verzweiflung. Er könne einfach keinen Schwindel sehen, ohne von dem Wunsch gefoltert zu werden, an diesem Schwindel zu partizipieren. Bitte, er sei nun

Weitere Kostenlose Bücher