Ein fliehendes Pferd
An einigen Stellen waren in den Tintenflüssen sogar entschiedene silberne Borten entstanden. Nur der Westhimmel bestand noch aus einer endlosen Durchsichtigkeit. Aus reinem Rosa. Helmut fiel das Pure ein. Das Wasser hatte alle diese Farben aufgenommen und sie zu einer dichten Mischung konzentriert. Man sah im Wasser alle Blaus, das Silber, das Rosa; zusammen ergab es ein immer stahlflüssigeres Blau, in dem ein violettes Gold flutete. Und da hinein rissen dann die Gewitterböen ihre schwarzen Narben.
Sturmwarnung, rief Klaus Buch und ließ seine Zunge aus dem Mund brechen und zeigte begeistert in die Schweiz hinüber und zurück ans deutsche Ufer. An vielen Stellen zuckten die gelben Warnlichter. Eine Farbe, die sonst nicht vorkam. Die Böen fuhren von allen Seiten her. Klaus Buch fluchte. Der spinnt wohl, schrie er. Den Wind meine er. Er schaute streitlustig herum, um die anfahrenden Böen rechtzeitig zu sehen. Wir brauchen Fahrt, dann können uns die Böen nichts mehr machen, rief er. Böen, ohne jeden Wind, sowas habe er auch noch nicht gesehen. Helmut soll die Fockschot bedienen. Wenn Klaus Buch FIER AUF ruft, soll er nachgeben, aber nie ganz loslassen, wenn Klaus Buch DICHT ruft, soll er anziehen. Während er noch sprach, fuhr eine Bö über sie hin, die Klaus mit einem Sprung auf Helmuts Seite beantwortete. Junge, Junge, das war ein Händchen, sagte er. Er erklärte Helmut, was der bei einer Wende tun müsse. Helmut fragte, ob sie jetzt ans deutsche oder ans Schweizer Ufer führen. Vorerst tanzten sie einmal mit diesen völlig verrückten Böen, sagte Klaus Buch. Sobald denen, was wohl auch auf dem Bodensee zu erwarten sei, ein Wind aus einer Richtung folgte, würden sie ihre Segelpartie nachholen. Helmut wies auf die Sturmwarnungen. Er hatte Angst. Diese an vielen Stellen zuckenden grellen Lichter sahen in den dunkel gewordenen Farben unheimlich aus. Klaus Buch wies auf die dunkelste Himmelsstelle. Das sei eine Gewitterfront, die liefere ihnen alles, was sie brauchten. Helmut sagte, ihm wäre es lieber, sie suchten, so rasch als möglich ans Land zu kommen. Die Schweiz scheine ihm näher zu sein. Warum nicht nach Utwil oder Kesswil, von dort Hel anrufen, vielleicht könne sie mit dem Auto kommen. Und wir an der Straße mit dem Segel unterm Arm, ja? Klaus Buch lachte. Helmut sagte, man könne ja auch am Land abwarten, bis der Sturm vorbei sei. Wahrscheinlich wäre doch das deutsche Ufer leichter zu erreichen, da der Wind ja aus Südwest komme.
Klaus Buch sagte, es sei höchste Zeit, daß Helmut aufhöre, dem Leben auszuweichen. Eine Bö schlug zu, Klaus Buch rief: Fier auf. Aber Helmut ließ zu spät los. Da Klaus Buch das Großsegel rechtzeitig gefiert und mit dem Ruder ausgeglichen hatte, hatten sie die Bö gut überstanden. Aber sofort kam die nächste. Helmut rief: Klaus, wir müssen hinein.
Jetzt war der See schon eine hellgrüne und weiß fauchende Fläche. Klaus Buch schrie vor Vergnügen. Helmut dachte, vielleicht ist er wirklich verrückt. Klaus rief Helmut zu, der solle sich auf den Bootskörper setzen. Helmut setzte sich hinauf. Sie schossen jetzt in rauschender Fahrt in Richtung Schweiz. Außer ihnen war kein Boot mehr auf dem See. In Ufernähe sah man segellose Boote wahrscheinlich mit Motorkraft auf die Häfen zustreben.
Klaus Buch benahm sich immer mehr wie ein Rodeoreiter. Er unterhielt sich mit dem Wind. Taufte jede Bö, die er herankommen sah, auf einen neuen Namen. Das ist Susi, die uns mit ihren Schenkeln zerquetschen will, hohopp, fier auf, und weg ist sie. Jedes Mal, wenn sie sich von einer Bö aufrichteten, lachte er Helmut glücklich an, tätschelte den Bootskörper und rief: Brav, Zugvogel, brav! Helmut sah, daß es immer schwieriger wurde, den Winddruck durch Manöver und Gewichtsverlagerung auszugleichen. Sie waren von fliegender Gischt längst klatschnaß. Er hielt seine Fockschot nur noch am letzten Zipfel. Dicht, brüllte Klaus Buch. Helmut schrie: Du spinnst. Er war ganz sicher, daß das Boot kentern würde, wenn das Vorsegel auch noch unter Druck stünde. Der Wind erzeugte mit dem losen Vorsegel ein hart knallendes Maschinengewehrgeräusch. Vollwarnung, schrie Klaus Buch triumphierend. Tatsächlich, die Lichter liefen mit doppelter Geschwindigkeit. Hinein jetzt, brüllte Helmut. Klaus Buch brüllte: Feigling. Helmut ertrug die totale Schieflage nicht mehr. Die Wellen liefen schon über Bord. Dieser Klaus Buch war also wahnsinnig. Jetzt hielten sie durch ihr so weit als
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