Ein fliehendes Pferd
jetzt. Das Falsche ist das Richtige. Heute abend, Bine. Heute nacht. Wenn sie einander heute nahekämen, dann dächte sie an Klaus und er an Helene, und das sei für ihn eine Vorstellung, die ihn abrüste. Idiot, sagte sie. Ja, sagte er. Alleskaputtmacher, sagte sie. Ja, sagte er. Blöder Hund, sagte sie. Ja, sagte er. Arschloch, sagte sie. Nicht provozieren, sagte er und beugte sich über sie, küßte sie vorsichtig und sagte: Ach du. Einziger Mensch. Sabine.
Erst als sie eingeschlafen war, atmete er auf. Es war zwar nicht das Gespräch geworden, das er Sabine schuldig war, aber sie hatten einander an Stellen berührt, an denen sie sich vorher noch nicht berührt hatten.
Wie schön sind, dachte er, gewendete Kleider.
8.
Klaus Buch stieß ihm die Tür auf, Helmut stieg ein, Klaus ließ zur Begrüßung seine Hand ein bißchen zu lange auf Helmuts Schulter liegen. Helmut bedauerte, daß er das anders empfand als dieser Klaus Buch. Es wäre schön, wenn man einen hätte, dessen Hand man gern ein bißchen zu lang auf der Schulter hat. Er hätte sich wegen Unfähigkeit zur Erwiderung von Gefühlen entschuldigen müssen. Klaus Buch war heute ganz in Weiß. Sein Augenblau war noch nie so blau gewesen. Seine beweglichen Lippen wälzten und wölbten sich, auch wenn er nicht sprach. Er war erregt. Nichts gegen die Frauen, aber daß der Zufall ihnen einen Tag allein beschert, ist einfach fein, oder nicht. Mensch, Helmut, wir zwei, das find ich echt brutal. Er drückte aufs Gas, mußte gleich wieder bremsen, man war schon da. Klaus Buch holte im Hotel eine Tasche. Diesmal hatte er auch Segeltuchschuhe für Helmut mitgebracht. Helmut bezweifelte, daß die paßten. Aber Klaus sagte, sie hätten doch immer schon die gleiche Schuhnummer gehabt. Helmut mußte helfen, die Segel zu setzen. Klaus Buch hörte nicht auf, ihm im fröhlichsten Ton alle Anweisungen zwei- bis viermal zuzurufen. Das hörte sich an, als sei Helmut ein Idiot. Trotzdem mußte Klaus Buch des öfteren hertanzen und Helmut auch noch die Hand führen.
Anfangs gab es noch ausgedehnte Felder mäßigen Winds. Dann war der ganze See glatt wie flüssiges Blei. Alles, was sichtbar war, hatte nur noch eine Farbe. Sie waren hinausgekommen aus dem Überlinger See und lagen jetzt draußen, Helmut schätzte, zwischen Hagnau und Kesswil. Klaus Buch fluchte auf den Bodensee. Ein impotenter Sack sei das, der könne nur einmal am Tag, und dann auch nur, daß es kaum noch zu erspüren sei. Jetzt schaue sich das einer an: eine Landschaft aus schwülen Lappen, schau, die Häuser da und dort, die Hügel, schau, der Himmel, alles hängt, hängt, hängt, das wird ein Nachmittag im Jenseits, mein Lieber. Das ist schon ein Scheißsee. Also wenn es nicht wegen dieser Recherchen wäre für Hels Buch, er wäre nie hierher zum Segeln. Das sei vielleicht was für Opas, in deren Wipfeln Ruh ist. Jetzt schau dich doch einmal um, diese Gegend, eingeschlafen für immer. Ich schwör’ es dir. Hier geht nichts mehr. Wir sind im Totenreich. Farbloses farblos im Farblosen. Lethe, Helmut. Tut mir leid. Ich hätte mit dir gern einen Scharfen abgesegelt. Ist nicht mehr drin hier. Jetzt müssen wir halt quatschen. Laß uns quatschen, komm.
Er sagte das märchenhaft wild und machte dabei mit seinen unbefestigten Lippen und der ungebärdigen Zunge unflätige, das Sprechen parodierende Bewegungen. Helmut mußte lachen. Das brachte Klaus Buch in Stimmung.
Mein Gott, wie sind sie in der Ägäis gesegelt. Anbinden mußten sie einander, sonst wären sie über Bord gespült worden. Zwölf Stunden lang keine Sekunde von der Pinne gewichen. Einmal blies der Boreas so, daß sie drei Tage lang nicht aus dem Hafen konnten. Einmal sind sie von Thassos nach Rhodos mehr unter den Wellen durch als über sie hin. Er freut sich nur noch auf die Bahamas mit ihrem beständigen Passat. Ob Helmut sich nicht vorstellen könne, mitzukommen. Er, Klaus Buch, habe, ohne sich im geringsten in Helmuts Angelegenheiten einmischen zu wollen, das Gefühl, als könne es Helmut gut tun, wenn er hier einfach mal klar Schiff machen, die Brücken abbrechen und in eine neue Welt aufbrechen würde. Das Leben bedarf des Reizes, sagte Klaus Buch, sonst erlischt es. Bei Lebzeiten. Verstehst du, das ist anders als beim Ethischen oder Moralischen, das existiert einfach so, das Geistige, das kann vielleicht seine Spannung aus sich selbst erzeugen, ich weiß das nicht so genau, da bist du der Experte. Ich dagegen weiß, daß das Lebendige den
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