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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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Stoß braucht. Das Lebendige braucht überhaupt das ganz Neue. Dem Lebendigen kann nichts neu genug sein. Je neuer, desto lebendiger. Die total unvorhersehbare Reaktion, verstehst du, das ist das Leben. Also, paß einmal auf, Helmut, wie oft bumst du deine Frau?
    Helmut schaute offenbar so, daß Klaus Buch nicht auf der Antwort bestand. Oder anders gefragt, sagte er, bist du ganz sicher, daß du deine Frau noch liebst? Bitte, versteh mich richtig, Sabine ist eine echt brutale Frau, ich beneide dich um Sabine, aber auch die brutalste Frau kann in unserem Alter eine Gefahr werden für einen Mann. Wenn sie es nicht mehr bringt. Auch Hel könnte eine Gefahr werden für mich. Wenn sie es nicht mehr bringt. Aber sie bringt es noch. Und wie. Hel ist für mich ein challenge. Sie ist zuviel für mich. Ich schaffe sie nicht. Ich kämpfe um sie. Tag und Nacht. Das hält fit, klar.
    Wenn du vier Wochen im Bett liegst, kannst du keinen Kilometer mehr gehen, so völlig verschwunden sind deine Muskeln. So ist es mit AL-LEM, Helmut. Ich bin wirklich fasziniert vom Leben, Helmut, das kannst du mir glauben. Wenn mir ein Regentropfen auf der Haut zerplatzt, könnte ich schreien vor Begeisterung. Wenn ich in einen Baum schaue, könnte ich aufschreien vor Liebe zum Chlorophyll. Aber ich habe Angst, dumm zu werden, Helmut. Ich bin in Gefahr, ich weiß das. Ich möchte brillant bleiben, verstehst du. Glänzend. Großartig. Und fein. Durchdringend fein. Unzerreißbare Seide möchte ich sein. Wildseide, versteht sich. Ich bin ein Anbeter meiner selbst. Hel betet mich in gewisser Weise auch an. Weil sie mich für intelligenter hält als ich bin, verstehst du. Ich mache ihr was vor. Ich halte sie kleiner als sie ist. Ich verführe sie zu Tätigkeiten, denen sie nicht gewachsen ist. Für den Fall, daß ich sie nicht mehr schaffe, verstehst du. Was ich brauchte, ist ein Mensch wie du, Helmut. Ehrlich. Als ich dich da sitzen sah an der Promenade, ecco, das war Erscheinung. Mein alter Ha-Ha, die große Problemschraube, Zarathustra in der Badehose gelesen, Helmut, wenn du mitkommst auf die Bahamas, sind wir beide gerettet. Da kannst du alles in der Badehose erledigen. Was gibst du auf hier? An welcher Schule bist du eigentlich? Am Ebe-Lu, sagte Helmut so unstolz als möglich.
    Oh, sagte Klaus Buch, gratuliere, naja, du warst eben immer Spitze, klar. Trotzdem wage ich es, stell dir vor, ich, die alte Küchenschabe, nichts gewesen, nichts geworden, ich wage es, dir, dem Doktor Oberstudienrat am hochehrwürdigen Ebe-Lu, weitgehende Vorschläge zu machen. Ich behaupte, es sei nötig. Du mußt gerettet werden. Du brauchst mich, Helmut, das spür’ ich. Deshalb meine Frage, wie oft bumst du Sabine. Ich will dich doch nicht beschämen, Mensch. Ich will nicht den tollen body spielen. Mensch, Helmut, meine erste Frau habe ich am Schluß noch einmal pro Woche gebumst. Sowas von herunter war ich. Waren wir. Also bitte. Mit mir kannst du reden. Wenn du willst. Ich finde einfach, wir sollten, bevor wir fünfzig sind, noch einmal vom Stapel laufen. Und ohne dich bin ich in Gefahr zu verblöden. Das ist mir klar. Du bist echt ein challenge für mich. Du und Hel, dann flutscht’s. Alles klar.
    Helmut nickte, so oft er konnte. Klaus Buch mußte den Eindruck haben, Helmut überlege sich diese Vorschläge ernsthaft. Das spornte ihn zu immer neuen Angeboten an. Er könne, da Helmut sich bis jetzt noch nicht gesprächsbereit gezeigt habe, nur immer weiter versuchen, durch Selbstentblößung Helmut so zu provozieren, daß er seine ihn selbst bedrohende Zurückhaltung aufgebe, damit sie endlich ihre gemeinsame Rettung gemeinsam betreiben könnten. Helmut sei sich, das fühle er, Klaus Buch, deutlich, der Gefahr der Stagnation schärfstens bewußt. Vielleicht habe Helmut sogar schon resigniert. Er, Klaus Buch, glaube das nicht. Er glaube eher, Helmut spiele sich Resignation zur Zeit vor, werde aber, sobald er sehe, daß es ernst werde, schreiend vor der Resignation zu fliehen versuchen. Dann sei es wirklich zu spät. Oder es gelinge nur noch eine Kurzschlußhandlung. Jetzt aber könne man den zweiten Stapellauf noch gemeinsam planen. Und zwar so, daß er gelinge. Ohne Wunden. Das sei das Entscheidende. Er könne sagen, daß die Trennung von seiner ersten Frau für beide ohne ernsthafte Wunde über die Bühne gegangen sei. Weil er eben nicht gewartet habe, bis er erschrocken sei. Also von ihm aus bestehe ein totales Angebot. Er ahne, daß Helmut schon mit ersten Schäden

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