Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
viel zu gefährlich. Philipp wollte doch nicht, dass seinen Pflegeeltern in Argentinien dasselbe zustieß wie seiner Familie in London. Das würde ihm das Gör abkaufen.Hansen musste es nur geschickt anstellen. Überzeugend wirken. Meine Güte, er hatte es mit einem Kind zu tun. Das würde er wohl hinbekommen. Alles eine Frage der Inszenierung. Fehlte lediglich das geeignete Ensemble.
Drei Wochen nach seiner Ankunft in Belem schiffte er sich ein nach Buenos Aires. Auf der Route verkehrten seltener Passagier-, aber regelmäßig Frachtschiffe, die gegen entsprechende Tarife auch Reisende mitnahmen. Neun Tage später erreichte Hansen die argentinische Hauptstadt, nervös wie lange nicht. Von dem, was ihn dort erwartete, hing seine Zukunft ab. Während der Schiffsreise war er unfähig gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Jahrelang hatte er darauf gehofft, sich von den anderen Menschen abzuheben, etwas zu finden, das sein Leben nachhaltig veränderte. Jetzt war er kurz davor, seine Visionen real werden zu lassen. Als der Mann, der Hitler seinen Sohn zurückbrachte, würde ihm die Welt zu Füßen liegen. Nachdem er ein billiges Zimmer gebucht hatte, ließ er sich von einem Taxi zu der von Oda unter dem Einfluss seiner Drogen ausgeplauderten Adresse bringen – dass Krauss das Giftarsenal verbrannt hatte, versetzte Hansen immer noch einen Stich. Die Zeit des Wartens war vorüber. Er wollte den Jungen sehen. Gewissheit haben, dass er existierte. Kein Hirngespinst war. Er wusste nicht, was er in diesem Fall getan hätte. Wollte es nicht wissen.
Das Haus lag an der baumbestandenen Avenida Alvarez in einer guten Gegend nah am Zentrum, es hatte einen Vorgarten mit einem schmiedeeisernen Törchen. Nur hundert Meter entfernt auf der anderen Straßenseite befand sich ein Café, perfekt für Hansens Bedürfnisse. Es war ein sonniger Tag mit an die zwanzig Grad zur Mittagsstunde, obwohl in Buenos Aires Winter herrschte. Hansen suchte sich draußen einen Platz mit freiem Blick aufs Haus, bestellte sich Kaffee und Gebäck, rührte aber nichts davon an. Bevor er nicht die Wahrheitkannte, brachte er keinen Bissen herunter. Nach ungefähr einer Stunde, es mochte auf zwei Uhr zugehen, sah er eine Frau mit einem Jungen und einem Mädchen den Bürgersteig entlangkommen. Hansen wusste trotz der Distanz, die es ihm erschwerte, Gesichtszüge auszumachen, dass es Philipp war. Er spürte es. Dies war die größte Chance, die ihm das Leben bieten würde. Er musste sie nur ergreifen.
In den nächsten Tagen kümmerte er sich darum, die Rollen für seine Schmierenkomödie zu besetzen. Er benötigte skrupelloses Gesindel, das nicht vollständig auf den Kopf gefallen war. Ein schwieriges Unterfangen. Hansen suchte am Hafen, in den Spelunken, hatte einen Blick für Außenseiter, spendierte Drinks, fühlte ihnen, so gut es sein Spanisch erlaubte, auf den Zahn. Die meisten waren zu dämlich, um sich die Schuhe zu binden. In einer etwas vornehmeren Kneipe stieß er auf einen kahlköpfigen Deutschen, der sein halbes Leben in Argentinien verbracht hatte, Erwin Falk. Nach mehreren Bieren bot Falk, dessen Glatze sonnengegerbt war, Hansen seine Dienste an, was es auch sei. Offensichtlich ahnte er, dass sein Landsmann nicht sauber war.
»Ich bin Ihr Mann«, sagte er, »Sie können sich auf mich verlassen. Ich stelle keine Fragen und gebe keine dummen Antworten.«
Hansen musterte ihn von der Seite.
»Ich will ein Kind entführen«, sagte er.
Falk schwieg, nahm einen Schluck Bier.
»Das kostet Sie eine Stange Geld«, entgegnete er.
Hansen lächelte. Falk hielt Wort. Stellte keine Fragen. Mit ihm würde Hansen es wagen. Er erklärte ihm seinen Plan, weihte ihn aber nicht in seine Motive ein. Niemand durfte Philipps wahre Herkunft erfahren. Falk empfahl, zwei weitere Männer hinzuzuziehen, um Hansens spätere Befreiungsaktion glaubwürdiger wirken zu lassen. Er kannte zwei zuverlässigeTypen, die es so hielten wie er. Keine Fragen, solange die Bezahlung stimmte. Hansen willigte ein. Obwohl sein Geld nicht ewig reichen würde. Aber jetzt zu sparen, schien ihm der falsche Ansatz. Sie verabredeten einen Treffpunkt, um die Details zu klären. Hansen blieb eine Woche, um den Plan auszuarbeiten.
Von da an beobachtete er das Haus täglich, notierte, wer es wann verließ und zu welcher Zeit zurückkehrte. Er verfolgte das Kindermädchen, das sich mit Philipp und der etwa gleichaltrigen Tochter der Familie jeden Vormittag auf den Weg machte. Die junge Frau
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