Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
begleitete ihre Schützlinge in die Stadt, wo sie, wie Hansen schnell herausfand, Privatunterricht erhielten. Das Mädchen sprach nur Französisch, Philipp hauptsächlich Englisch; beide mussten Spanisch lernen, um in der Schule mithalten zu können.
Auch heute folgte Hansen dem Trio, hielt großen Abstand, um nicht aufzufallen, bummelte wie ein Tourist über die bemerkenswert sauberen Trottoirs. Er wollte sichergehen, dass die Kinder jeden Tag dasselbe Ziel hatten. Denn in seinem Kopf konkretisierte sich allmählich ein Plan. Er würde Philipp am helllichten Tag entführen lassen, unmittelbar nach dem Unterricht, mitten im Verkehrsgetümmel. Falk sollte sich den Jungen schnappen, wenn er seine Spanischstunden absolviert hatte. Am Hafen, in einer einsamen Gasse, nach einem Nachmittag voller Todesangst für Philipp, würde er die Befreiung inszenieren, mit einer Rauferei und viel Hektik. Von da aus ging es direkt aufs Schiff nach Belem. Keine Zeit zum Atemholen, zum Nachdenken. Waren sie erst auf hoher See, würde sich der Junge aus purem Überlebensinstinkt an ihn klammern. Dann konnte Hansen eine Bindung zu ihm aufbauen. Und ihn in Belem auf die Reise nach Deutschland vorbereiten. Dort bekam er auch die neuen Papiere, die sie für die Überfahrt benötigten. Hansen registrierte, wie der Junge und dasMädchen das Haus in der Innenstadt betraten. Er drehte um. Um dreizehn Uhr dreißig war der Unterricht beendet. Übermorgen um dieselbe Zeit würde er hier in einem Wagen warten. Und ungerührt zusehen, wie Hitlers Sohn von drei angeheuerten Strauchdieben in einen Lieferwagen gesteckt würde. Von da an wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis Philipp Hitler seinem leiblichen Vater gegenüberstünde.
Hansen sah auf die Uhr. Falk war fünf Minuten zu früh. Verdammt. Hoffentlich erregten sie keine Aufmerksamkeit. Er parkte den Lieferwagen neben der Tür, aus der Philipp und das Mädchen herauskommen würden. Vor dem Haus wartete bereits die Kinderfrau, um die beiden in Empfang zu nehmen. Zwei Männer stiegen aus dem Lieferwagen, lehnten sich an die Karosserie. Ramon und Antonio. Sie sollten den Jungen schnappen. Falk blieb wie vereinbart im Führerhaus sitzen. Hansen fluchte wieder. Konnte man sich auf das Gesindel verlassen? Alles hing von ihnen ab. Sie hatten Anweisungen, das Kindermädchen nicht zu verletzen, nur einzuschüchtern. Nicht ihr zuliebe, sondern des Jungen wegen. Am liebsten wäre Hansen selbst hinübergelaufen, hätte die Sache allein geregelt. Bleib ruhig, beschwor er sich. Leicht gesagt. Die Tür schwang auf, der Junge kam heraus, lächelte die Nanny an. Ramon drückte sich vom Wagen ab, Antonio öffnete die Hecktüren des Lieferwagens. Der Junge sah Ramon an, blieb stehen, bewegte die Lippen. Hansen war zu weit weg, um etwas zu verstehen. Ramon packte den Jungen mit einem Arm um die Brust, hob ihn hoch. Die Kinderfrau kreischte, stürzte sich auf den Entführer. Auch Philipp schrie. Passanten blieben stehen, glotzten. Ramon stieß das Kindermädchen mit der freien Hand kräftig weg. Sie stolperte, fiel. Auf Hansens Straßenseite, vielleicht fünfzig Meter vor ihm, stieg ein Mann aus einem geparkten Auto. Ramon schob den Jungen auf dieLadefläche, schubste ihn in den Wagen. Antonio knallte die Hecktüren zu, schloss ab. Ramon taumelte zurück, hielt sich die Brust, knallte aufs Pflaster. Antonio sah entsetzt zu ihm herunter. Hansens Puls beschleunigte sich. Was war da los?
Der Mann aus dem Wagen lief über die Straße auf den Lieferwagen zu, hob den rechten Arm. Antonio fiel auf die Knie, das Gesicht verzerrt. Hansen hatte keinen einzigen Schuss gehört. Aber das, was der Mann in der Hand hielt, war zweifellos eine Waffe. Mit einem Schalldämpfer. Er hatte den Lieferwagen fast erreicht. Falk fuhr los, hatte das Geschehen durch die Spiegel beobachtet. Der Mann zielte, feuerte auf den Wagen, der schnell beschleunigte. Falk bog um die nächste Ecke und war verschwunden. Der Mann schoss dem knieenden Antonio beiläufig in den Kopf, drehte sich um und rannte zurück zu seinem Wagen. Hansen stockte der Atem. Er hatte das Gesicht des Mannes gesehen. Krauss. Unmöglich. Krauss war tot, von ihm vor Monaten erschossen. Aber das da vorn war Krauss. Er lebte, stand mitten auf dieser breiten Straße im Zentrum von Buenos Aires, musste ungeduldig warten, weil dichter Verkehr herrschte. Hansen war starr vor Entsetzen, wie gelähmt. Das kann nicht sein, sagte er sich. Nein. Nein. Nein.
Er startete trotzdem den
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