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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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davon, einen Umweg zu nehmen. Denn Hansen hatte nicht vor, dauerhaft auf seine mühsam errungenen Privilegien zu verzichten. Stattdessen würde er notgedrungen den geordneten Rückzug antreten und seine beste Karte ausspielen. Wahrscheinlich hatte er das gewollt, seit er diese Karte besaß. Einen Joker, der alle anderen ausstach. Sein »Sesam, öffne dich!«, seine Allzweckwaffe, die ihn nah ans Allerheiligste brachte, ins Zentrum der Macht: Hitlers heimlicher Sohn.
    Aber Hansen mochte eine weitere Möglichkeit nicht ausschließen. Nämlich die, dass er sich nicht unter Kontrolle hatte, so wie es Himmler und Göring mutmaßten. Dass in ihm etwas wütete, das ihn manchmal zu verschlingen drohte, wenn er dem nicht nachgab. Die Sache mit Schulz-Kampfhenkel – Hansen weigerte sich, ein anderes Wort dafür zu benutzen –machte es nicht besser. Im Gegenteil. Es hatte das Wüten und Wühlen nur verstärkt. Das Töten linderte den Schmerz. Für eine gewisse Zeit.
    Als er die Leichen der beiden Menschen betrachtete, die ihm so zugesetzt hatten, und das fahle Licht des Mondes langsam einer allumfassenden Dunkelheit wich, fasste er den Entschluss zu verschwinden. Für ihn war es kein Problem, zurück zum Waldrand zu finden. Niemand begegnete ihm, er wurde geschluckt von der undurchdringlichen Schwärze. Zwei Wochen später lehnte er an der Reling eines Schiffes, das nach Lissabon in See stach, ausgestattet mit gefälschten, auf den Nachnamen Peskoller ausgestellten Papieren und ausreichenden Barmitteln. Englischen Pfund, vorsichtig abgezweigt, dazu Gold, alles in allem genug, um monatelang sorgenfrei zu leben. Länger sollte sein Ausflug nicht dauern. Von Lissabon aus schiffte Hansen sich nach Belem ein. Die Überfahrt war stürmisch, das Klima an Bord von Angst geprägt. Viele Passagiere fürchteten, im Schlaf von einem deutschen U-Boot-Angriff überrascht zu werden. Hansen bezweifelte, dass es die deutsche Marine auf zivile Dampfer abgesehen hatte, zumal, wenn sie unter portugiesischer Flagge fuhren. Gleichwohl schlummerte er unruhig, allerdings aus Sorge um seine Finanzen. Doch niemand legte sich mit dem langhaarigen, stets finster dreinschauenden Deutschen an.
    In Belem nahm Hansen zuerst ein schäbiges Zimmer und mietete wenige Tage später ein Häuschen am Rand der Elendsquartiere. Dort schmiedete er seinen Plan. Es galt, mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Der Junge war nur lebend wertvoll für ihn. Hansen musste unter allen Umständen vermeiden, dass ihm etwas zustieß oder er erkrankte. Am besten war es, sein Vertrauen zu gewinnen. Nur wie, wenn er ihn den einzigen Menschen entriss, denen er vertraute? Hansen dachte darüber nach, der Familie Geld zu bieten, immerhin wagte sieeinen Neuanfang in einem fremden Land, und es handelte sich nicht um ihr leibliches Kind. Aber was, wenn die Eltern nein sagten? Dann würden sie aufpassen, vielleicht die Behörden einschalten. Hansen wusste nicht, wie die argentinische Polizei reagierte. War sie genauso korrupt wie die brasilianische? Besaßen die Verwandten, bei denen die französische Familie untergekommen war, vielleicht einen guten Draht zur Staatsmacht? Alles war denkbar.
    Ihm blieb keine andere Wahl, als den Jungen zu entführen. Was Hansen jedoch stark einschränken würde, war ein vollkommen apathisches Kind. Deshalb beschäftigte er sich zum ersten Mal mit der Frage, was er bei seinem Opfer auslösen konnte. Aus Odas Schilderungen wusste er, welch leidvolle Geschichte der Junge hinter sich hatte. Ihm war übel mitgespielt worden, er hatte Dinge erlebt, die ein Kind seines Alters nicht erleben sollte. Gerade jetzt, wo er sich davon erholte, wäre das ein schrecklicher Rückschlag. Aber es half nichts. Hansen brauchte den Jungen. Und dessen Kooperation. Die Reise nach Deutschland musste Philipp erstrebenswert erscheinen, damit sie unterwegs keinen Verdacht erweckten. Wen würde der Junge gerne wiedersehen? Oda natürlich. Hansen plante, sich als Abgesandter Odas auszugeben. Sie war aus unbestimmten Gründen verhindert. Krankheit, Gefangenschaft, da fiel ihm etwas ein. Hansen lächelte. Er hatte eine Idee. Wenn man einmal auf dem richtigen Pfad war, ergab eines das andere. Er würde Philipp nicht entführen. Er würde ihn befreien, in Odas Auftrag. Aus den Händen seiner Häscher. Was Hansen nicht nur vertrauenswürdig erscheinen ließ, sondern ihm zusätzliche Argumente liefern würde, warum er den Jungen nicht zurück in die Obhut der Familie bringen konnte. Es war

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