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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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größer war der Schock, als im März 1938 Schulz-Kampfhenkels Film »Rätsel der Urwaldhölle« ins Kino kam. Schon Wochen vorab rühmten die Zeitungen das Großwerk des deutschen Kulturfilms, das angeblich neue Maßstäbe setzen würde. Hansens Finger zitterten, wenn er diese Berichte las, denn Schulz-Kampfhenkel hatte seit Monaten nicht mehr mit ihm gesprochen. Es war nur die Rede von den drei jugendlichen Draufgängern, die den Amazonas bezwungen hatten. Hansen wurde nicht mit einer Silbe erwähnt. Sein Anteil am Gelingen der Expedition hatte sich in Luft aufgelöst. Es war beinahe so, als sei er nicht dabei gewesen. Zur Premiere im Berliner »Marmorhaus« stellte die UFA den Heinkel Seekadett mit Schwimmern vor das Kino am Kurfürstendamm; Hansen stand fassungslos vor dem Flugzeug, mit dem er beinahe im Amazonas abgesoffen wäre, bis er registrierte, dass es sich um das gleiche Modell, aber nicht die originaleMaschine handelte. Hier ging es nicht mehr um Authentizität, sondern darum, ein Produkt zu verkaufen. Und davon verstand Schulz-Kampfhenkel etwas. Zur Premiere war Hansen nicht geladen, er wurde weiter totgeschwiegen. Er blieb an diesem Abend zu Hause, vor lauter Hass und Wut unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
    Das Ausmaß seiner Niederlage dämmerte ihm erst Tage später, als die Zeitungen den »Forschungsgroßfilm« Schulz-Kampfhenkels mit Lobeshymnen überschütteten, ihn als herrliches Männerwerk priesen, das kein Deutscher verpassen dürfe. Vergeblich suchte Hansen nach Verrissen, die Begeisterung war einhellig. Stattdessen fand er überall Zitate von Schulz-Kampfhenkel, über seinen Anspruch, ein »ehrliches Filmdokument« mit nach Hause zu bringen oder stets schussfertig zu sein, ob mit der Kamera oder der Büchse. Nach der Lektüre dieser Texte war Hansen wie betäubt. Wo blieb die Würdigung seiner Verdienste? Warum befragten die Reporter nicht ihn? Wer hatte denn das Wild erlegt und die Gebräuche der Indianer intensiv studiert? Schulz-Kampfhenkel war an den Wilden niemals wirklich interessiert gewesen, nur an sich selbst. Daran, seinen Ruhm zu mehren. Das Hakenkreuz in den Dschungel zu pflanzen.
    Nach zwei Wochen raffte Hansen all seinen Mut zusammen und sah sich den Film an. Es war nicht nur eine Enttäuschung, sondern ein Angriff auf sein Selbstwertgefühl. Während alle anderen Expeditionsteilnehmer angemessen gewürdigt wurden, stellte Schulz-Kampfhenkel Hansen als komischen Kauz dar, als den »weißen Indianer«, der sich dem Leben der Eingeborenen mit solch verzweifelter Entschlossenheit anpasste, dass selbst die ihn belächelten. Es war Schulz-Kampfhenkels subtile Art, sich an seinem Kameraden zu rächen, ohne dass der ihn dafür zur Rechenschaft ziehen konnte. Doch da irrte er sich, dachte Hansen, den Mordgelüste plagten. Er stelltesich vor, wie er Schulz-Kampfhenkel vergiftete, genau wie damals im Dschungel, als der Expeditionsleiter nach Wochen der Abwesenheit wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. Damals war nichts passiert, war er mit Skrupeln behaftet gewesen. Nur dass er jetzt mehrfach getötet hatte und ein weiterer Mord, selbst an einem Weggefährten, ihm nicht verwerflich erschien. Nicht verwerflicher als das, was er in den vergangenen Monaten getan hatte. Falls die Hölle existierte, war ihm ein Platz dort sicher.
    Vorläufig aber wollte er abwarten, Schulz-Kampfhenkel in Sicherheit wiegen. Im April traf Hansen der zweite Schlag, die Ausstellung »Rätsel der Urwaldhölle« in den Berliner Reichshallen. Mit großem Pomp wurde die Ausstellung eröffnet, und wieder gehörte Hansen nicht zu den Gefeierten. Als er Tage später durch die Schau schlenderte, sah er viele der Tiere wieder, die er selbst geschossen hatte, präpariert und vor bemalten Hintergründen, die wohl Urwaldlandschaften darstellen sollten. Schulz-Kampfhenkel zeigte den Plunder, den er am Jary zusammengetragen hatte, Töpfe und Schalen neben Pfeilen und Speeren, Schädel, Schmuck und eben alles, was dort kreuchte und fleuchte. Selbst lebende Wildschweine, ein paar halbvertrocknete Riesenschlangen und abgemagerte Seidenreiher vegetierten in Gehegen vor sich hin. Hansen fand es merkwürdig, dies alles losgelöst von seinem Ursprungsort zu sehen, als habe es dadurch seine eigentliche Bedeutung verloren. In diesem Zusammenhang, in dieser Kulisse verkam es zu exotischem Tand. Unbemerkt öffnete er einen Schaukasten und legte einen seiner vergifteten Blasrohrpfeile hinein. Vielleicht verletzte sich ein

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