Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Position, überhaupt zum Eintritt in diesen Ordenskreis fehlte, war die dazugehörige Ideologie. Er glaubte nicht an den Nationalsozialismus. Genauso wenig, wie er an den Kommunismus glaubte. Oder die Demokratie. Oder an Gott. Hansen glaubte nur daran, dass die Starken die Schwachen vom Angesicht der Erde fegen mussten. Das wiederum verstanden die Nationalsozialisten sehr gut.
Also schmiedete er Pläne, vom Schritt Schulz-Kampfhenkels und den Auswirkungen auf ihn als Mitglied der Jary-Expedition beflügelt. Seine Rechnung war folgende: Sobald ein Krieg ausbrach, und das erschien im Sommer 1939 immer wahrscheinlicher, würde er dem wissenschaftlich interessierten und auf die Erweiterung des deutschen Siedlungsraumes bedachten Himmler eine ausgearbeitete Strategie vorlegen, wie die Wehrmacht die Guyanas in ihre Gewalt bringen konnte. Wenn er ehrlich war, stammte die Idee aus seinem Lagerfeuergespräch mit Schulz-Kampfhenkel, aber dem wollte er unbedingt zuvorkommen. Hansen entwickelte einen detaillierten Invasionsplan, der die politische Lage im Land, die Hilfestellung durch die mit den Deutschen befreundeten Indiostämme (die Wayapi klammerte er vorsichtshalber aus) und die notwendige militärische Ausrüstung berücksichtigte. Sich selbst brachte er als Befehlshaber des Kommandos ins Spiel, weil niemand auf vergleichbare Kenntnisse des Terrains und der Eingeborenen zurückgreifen konnte. Nach der erfolgreichen Eroberung der Guyanas verlangte Hansen, dortals deutscher Statthalter eingesetzt zu werden. Gleichzeitig schlug er vor, eine geheime, spezialisierte SS-Einheit unter seiner Leitung zu formen. Die Ausbildung der Männer sollte in den Guyanas stattfinden. Von dort aus würden diese Soldaten in die Welt ausschwärmen, um ihre Spezialaufträge mit Bravour zu erfüllen. Denn wem es gelang, im Dschungel zu überleben und zu töten, der gehörte überall zu denen, die Furcht verbreiteten.
Hansen war stolz auf seine Ideen. In blumigen Worten pries er sich zudem an als Verhörspezialist, dessen umfassende Kenntnisse der geheimnisvollen Gifte und Tränke der indianischen Schamanen jedem Gefangenen sein Wissen entlockte, so dass der Feind keinerlei taktische Manöver vor ihm verbergen könnte. Zufrieden über sein fast zehnseitiges Schreiben, tröpfelte er einer Hure, mit der er eine Nacht verbrachte, heimlich ein langsam wirkendes Giftgemisch in ihr Glas mit billigem Rotwein. Als er eine Woche später nach ihr fragte, sagte man ihm, sie sei vor drei Tagen nach schweren Krämpfen gestorben. Kurz darauf erklärte Deutschland Polen den Krieg.
Zwei Monate später wurde er von Heinrich Himmler empfangen. Das allein machte Hansen Hoffnung. Vor dem Gespräch hatte er überlegt, ob er den Reichsführer-SS auf die Parallelität ihrer Initialen hinweisen sollte, um die Stimmung aufzulockern, doch Himmlers von Anfang an abweisende Art hielt ihn davon ab. Der oberste SS-Mann behandelte Hansen von oben herab, sah ihm nicht einmal in die Augen.
»Für Ihre abenteuerlichen Ausführungen haben wir momentan keine Verwendung«, sagte Himmler unterkühlt. »Ich ließ Sie einbestellen, um Ihnen das persönlich mitzuteilen, weil Sie mit Untersturmführer Schulz-Kampfhenkel den Jary erforscht haben. Aber militärische Pläne von Zivilisten leiden meist unter dem Makel, dass sie nicht von Militärs verfasst wurden. Sie überblicken weder die Erfordernisse der Situationnoch die Tragweite eines derartigen Überfalls. Außerdem können Sie davon ausgehen, dass wir nach einem Sieg über Frankreich – der in nicht allzu ferner Zukunft liegt – ohnehin in den Guyanas präsent sind. Nehmen Sie es also nicht persönlich, wenn ich Ihren Ausführungen gegenüber eine gewisse Skepsis an den Tag lege.«
Natürlich nahm Hansen es persönlich. Wie sollte er es auch anders nehmen? Ihm fiel auch nichts Originelles ein, um die Argumente des Reichsführers zu entkräften. Hansen war kein Militär, daran bestand kein Zweifel, aber für detaillierte strategische Überlegungen konnte man ja Spezialisten hinzuziehen. Halbherzig leistete er einige Minuten verbale Gegenwehr, um schließlich einzusehen, dass Himmler nicht überzeugt werden wollte. Der Reichsführer-SS ließ ihn abblitzen, betrachtete ihn zum Abschied abfällig durch die befremdlich dicken Gläser seiner Nickelbrille, als sei er ein armer Irrer. Das Kapitel über die SS war ihm nicht ein einziges Wort wert gewesen. Hansen wusste, dass es schwer werden würde, in diese Kreise vorzudringen, aber
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