Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Arbeiter beim Abräumen der Exponate daran. Das würde Schulz-Kampfhenkel eine Warnung sein. Und seinen untadeligen Ruf beschädigen.
Zwei Monate lang kreisten Hansens Gedanken darum, wie er die Karriere seines ehemaligen Gefährten vernichten könnte.Besser noch, ihn gleich vom Erdboden tilgen. Aber er konnte sich zu nichts aufraffen, war wie gelähmt von dem wachsenden Zuspruch, den Schulz-Kampfhenkel genoss. Dieser Versager hatte sich vom juvenilen Glücksritter zum angesehenen Wissenschaftler gemausert, der alles bekam, was er verlangte, und darüber hinaus mit Preisen überhäuft wurde. Dann erschienen die Expeditionserlebnisse als Buch, und wieder füllten sich die Zeitungen mit Berichten über das Amazonas-Abenteuer, mehr als je zuvor. Hansen las das Werk in einem Zug. Obwohl es ihm schwerfiel, weil es so war, als höre er Schulz-Kampfhenkel reden, dessen hochnäsigen Welterklärer-Tonfall. Das Buch, eher Reise- als Forschungsbericht, empfand Hansen in jeder Hinsicht als eine Zumutung. Sprachlich wie inhaltlich. Es war verlogen, anbiedernd, überzogen, selbstverliebt, ein übles Machwerk. Am meisten störte Hansen, dass die Bilanz für ihn noch beschämender ausfiel als der Film. Er war der Sonderling, dem die Tropen den gesunden Menschenverstand raubten. Dafür würde Schulz-Kampfhenkel bezahlen.
Hansen packte einen kleinen Giftpfeil ein, wie die Indios ihn für ihre Blasrohre verwendeten, und machte sich auf nach Buckow, entschlossen, den wieder auf dem Landsitz seiner Eltern wohnenden Schulz-Kampfhenkel auf seine letzte Reise zu schicken. Doch auf dem Weg dorthin geriet sein Gedankengebäude ins Wanken. Diesmal würde er wohl nicht ungeschoren davonkommen, die Tat ihm, dem Außenseiter und Neider, angelastet werden. Und wenn er es recht überlegte, hatte er wenig Lust, seinen Platz in der Hölle verfrüht einzunehmen. Also drehte er ab.
Auf den Adrenalinrausch aber wollte er trotzdem nicht verzichten. Mitten in der Innenstadt zwängte er sich in eine Gruppe Menschen, die eine aktuelle Ausgabe der in einer Fensterauslage präsentierten »Berliner Illustrierten Zeitung« las.Vor einer Woche erst war es zu landesweiten Ausschreitungen gegen die Juden gekommen, und obwohl Hansen die Aufregung für übertrieben hielt, bewegte das Thema die Nation. Auch über diese Artikel wurde intensiv diskutiert. Hansen hörte nicht zu, sondern fingerte vorsichtig nach seinem Pfeil und stieß ihn einem vor ihm stehenden Mann in die Seite. Der zuckte zusammen, drehte sich um, aber es war nur ein Pikser, und zudem unmöglich zu sagen, wer in der drangvollen Enge um ihn herum der Auslöser war. Hansen zog sich zurück, aber nicht so weit, dass er sein Opfer aus den Augen verlor. Es dauerte nur wenige Minuten, und der Mann griff sich an die Kehle. Seine Gesichtshaut war schneeweiß, er röchelte, klammerte sich entsetzt an die Umstehenden. Die begriffen natürlich nicht, was vor sich ging, bis der Mann stürzte und auf dem Pflaster sein Leben aushauchte. Während Krauss die Szene äußerlich ungerührt verfolgte, toste in seinem Inneren ein wilder Strudel aus Genugtuung, Lust und Gier. Langsam entfernte Hansen sich von der Gruppe, die hilflos auf den Toten starrte, und kehrte zurück in die Bedeutungslosigkeit. Nur er wusste es besser. Er war der Tod. Wenn er jemanden berührte, war dessen Schicksal besiegelt.
So verstrich das Jahr 1938. Obwohl Hansen unzufrieden mit seiner Situation war, verweigerte er sich einer sinnvollen Beschäftigung. Er hielt sich fit, das ja, lief selbst im Winter kilometerlang durch den Köllnischen Park, lebte von dem Geld, das ihm Schulz-Kampfhenkel weiterhin kommentarlos überwies. Erst als er im Frühjahr 1939 hörte, dass sein ehemaliger Expeditionsleiter bereits vor Monaten wieder von der SS aufgenommen worden war, änderte sich alles. Zunächst ärgerte er sich darüber, dass die SS einem solch eitlen Wichtigtuer auf den Leim ging, zumal Schulz-Kampfhenkel sofort den Rang eines Untersturmführers bekleidete. Bei näherem Überlegen jedoch witterte er eine Chance. Was, wenn Schulz-Kampfhenkelihm den Weg in die Reihen der SS ebnete? Denn dort wäre ein Mann mit den Fähigkeiten, die Hansen mitbrachte, bestens aufgehoben. Die SS, das war Hitlers elitäre Kampftruppe, in der das Töten zum alltäglichen Geschäft gehörte. Wer wäre da prädestinierter als er? Nur wollte er auf keinen Fall ein unbedeutender Befehlsempfänger sein. Die Zeiten waren vorbei. Was ihm allerdings zu einer gehobenen
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