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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Siskiyou Forest, Juli 1989
    So fängt es an, in einer Sommernacht, die so vollgestopft ist mit Sternen, daß die Milchstraße aussieht wie eine weiße Plastiktüte, aufgehängt im Dach des Himmels. Kein Mond allerdings – der hätte nur gestört. Und kein Geräusch bis auf das unregelmäßige Plätschern von Wasser, gedämpfte Schritte von billigen Turnschuhen auf dem gespenstischen Band der Straße, der verhaltene Applaus der Grillen. Es ist eigentlich nur eine Forststraße, ein Schotterweg, und Tyrone Tierwater würde dazu auch nicht Straße sagen wollen. Er nennt es eine Narbe, eine Verletzung, eine offene Wunde im Leib des Waldes. Aber bezeichnen wir es der Einfachheit halber als Straße. Tagsüber donnern darüber Lastwagen, riesige D7-Planierraupen, Ladeschlepper und Shredder. Es ist eine Straße. Und er geht auf ihr.
    Er bewegt sich ziel- und zweckgerichtet, nahezu unsichtbar im Abgrund der Schatten unter den großen Douglastannen. Wer gut an die Dunkelheit angepaßt ist und scharf genug hinsieht, der würde auch seine drei Gefährten erkennen, um die sich die Nacht ein klein wenig neu verteilt, wenn sie vorbeikommen: mal sieht man sie, mal wieder nicht. Alle vier haben das gleiche an: billige, mit Schuhcreme geschwärzte Tennisschuhe, zwei Paar Socken, schwarze T- und Sweat-Shirts drüber, und natürlich die schwarzen Strickmützen. Wo wären sie ohne die?
    Tierwater hatte noch weiter gehen wollen, das volle Programm, dunkle Fettschminke auf dem Nasenrücken und ein paar Streifen über die Backenknochen – oder noch besser: das Gesicht ganz schwärzen –, aber das hat ihm Andrea ausgeredet. Sie kann ihm alles ausreden, weil sie vernunftbetonter ist als er und aggressiver, weil sie sprachlich einfach mehr Geschick und dazu ein Gespür wie ein Jagdhund hat, mit dem sie jeder Schwäche auf die Schliche kommt – dafür besitzt sie nicht mal die Hälfte seines Potentials für Paranoia und neurotische Verhaltensweisen, Pessimismus und Verzweiflung. Es kann immer schiefgehen. Und das tut es auch. Das wird es. Er hat versucht, ihr das klarzumachen, aber sie wollte nicht auf ihn hören.
    Da saßen sie gerade im Motelzimmer, im unfertigen Zentrum des komatösen Ortes Grant’s Pass in Oregon, wo sie als Mr. und Mrs. James Watt abgestiegen waren. Er war nervös – Schmetterlinge im Bauch, Termiten im Kopf –, nervös und wütend. Wütend auf die Holzfäller, auf Oregon, das Motelzimmer und auf sie. Draußen, drei Schritte von der Tür entfernt, stand Teos Chevy Caprice (anonym grau, die Nummernschilder kunstvoll verdreckt) auf dem verabredeten Parkplatz. Tierwater kam aus dem Bad, einen Wachsmalstift in der Hand und eine in Klarsichtfolie eingeschweißte Packung Halloweenschminke in der anderen. Auf dem Bett lag eine zerdrückte Schachtel mit Doughnuts, zwei Pappbecher mit Kaffee trockneten auf dem niedrigen Preßholztisch an. »Vergiß es, Ty«, sagte sie. »Ich sag doch dauernd, das hier ist gar nichts, nur der erste Schritt in einem langen Marsch. Glaubst du denn, ich würde Sierra mitnehmen, wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher wäre, daß es ungefährlich ist? Das wird ein Spaziergang im Park, nichts weiter.«
    Ein kurzer Moment versickerte. Er sah auf seine Tochter, aber sie hatte ihm nichts zu sagen, hielt nur den Kopf etwas schräg, woran man sah, daß sie zuhörte, aber vor allem in sich gekehrt war. Im Fernsehen sagte jemand: »... und diese einzigartigen Kreaturen, deren Lebensräume immer kleiner werden, finden nicht mehr ausreichend Mastfutter zum Überleben, geschweige denn genug Aas.« Tierwater probierte ein Lächeln, aber irgendwie wollten die entsprechenden Muskeln nicht recht. Er hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache, vor allem was Sierra anging – aber während er den Mücken lauschte, die im Insektengrill vor dem Fenster schmurgelten, wurde ihm klar, daß »ungutes Gefühl« nicht ganz das richtige Wort war. Ungutes Gefühl? Wie wär’s mit: rasende Angst, Entsetzen, Nachtschweiß? Kloß im Hals? Glassplitter im Herzen?
    Hier draußen gab es Menschen, denen es nicht gefallen würde, was die vier mit der Straße vorhatten, die er nicht Straße nennen wollte. Chefs, Unterchefs, Schwermaschinenführer, geschäftsführende Manager, Spesenritter, Buchhalter und Polizisten. Gar nicht zu reden von all den braven und anständigen, hart arbeitenden und völlig irregeleiteten Holzfällerfamilien, Männern mit Baseballmützen und roten Hosenträgern, Frauen wie Festzelte, alles Leute,

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