Ein Freund der Erde
liebsten mit einer Flasche Magenschutz zu Hause vor der Glotze säße, wo mich die Löwen in den Schlaf husten würden. »Ist er noch auf der Bildfläche, oder was?«
Genau in diesem Moment merke ich, daß meine Füße naß werden, und als ich erst den einen, dann den anderen hochhebe, reagiert der Teppich wie ein Schwamm. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine von Shiggys Töchtern an der Hintertür mit einem Mop und einem Berg von Servietten herumhantiert, hektische Geschäftigkeit, die jedoch nicht genügt, um den Wasserfluß einzudämmen, der unerbittlich in den Raum strömt. Shiggy hätte auf Pfählen bauen sollen, und das weiß er, aber er hat den Laden von seinem Vater geerbt, der hier vierzig Jahre lang ein erfolgreiches Smorgasbord-Bistro geführt hat, und die Kosten für das Anheben des Gebäudes wären astronomisch gewesen. Und wie alle anderen auch wartete Shiggy darauf, daß das Wetter wieder besser würde. »Kein Problem, Sir, kein Problem«, versichert Shiggys Tochter gerade einem allein sitzenden Gast in der Ecke, »das haben wir gleich aufgewischt.«
Solcherart abgelenkt – meine Stiefel sind garantiert hin –, ist mir die Frage entfallen, die ich in der feuchten Luft dieser Kneipe habe hängenlassen, ich habe vergessen, wo ich bin oder warum oder sogar, wer ich bin, einer dieser kleinen Aussetzer, die in meinem Alter das Leben erträglich machen, trotz Gingko biloba, Koffein und allen nervenstärkenden Mitteln. Volle zehn Sekunden lang habe ich so meinen Bauch vom Hirn abgetrennt. »Er ist tot«, sagt Andrea in die Stille hinein.
»Wer?«
»Teo.«
Tot? Teo tot? Da bin ich sofort zurück in der Gegenwart, so wach wie Lily, wenn sie sieht, wie ich in der großen fettigen Tüte nach dem nächsten Hühnerrücken greife. Allmählich gefällt mir die Sache. Auf einmal fühle ich mich phantastisch. Ich möchte Einzelheiten: Hat er gelitten? War es ein langsamer Tod? Hatte er am Ende noch seinen Darm, seinen Pimmel, sein Hirn unter Kontrolle? »Ich dachte, dafür braucht’s ne silberne Kugel«, hörte ich mich sagen. »Oder einen Pfahl ins Herz.«
Sie senkt den Blick, der Vorhang fällt, die Jalousien gehen runter. Sehr leise jetzt: »Es ging schnell.«
»Wie schnell?«
Brr , grollt der Wind, brr, brr, brr , und jetzt tropft das Wasser stetig – Teos Geist, sein aalglatter, wäßriger Puls –, es prasselt nur so auf den Tisch herab, gleich links neben meinen Stäbchen. Ich mustere sie, genieße diese Enthüllung, aber der Rücken tut mir weh – er tut schon immer und für immer weh, das geht so, seit ich Mitte Dreißig bin –, und für die Arthritis in meinem rechten Fuß ist der nasse Boden auch nicht gesund. Außerdem habe ich einen voreiligen Ständer. Ich widerstehe der Versuchung, rasch auf die Uhr zu sehen. »Wie schnell?« wiederhole ich.
»Ich möchte nicht darüber sprechen«, sagt sie, »weil ich nicht deswegen – das wollte ich nicht mit dir... also, es war ein Meteor, okay?«
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Laut und schallend explodiert es von meinen unbeherrschten Lippen und läßt ein Pärchen zwei Tische weiter zusammenzucken. »Du nimmst mich auf den Arm?«
»Elfeinhalb Milliarden Menschen leben auf der Erde, Ty, davon sechzig Millionen hier in Kalifornien. Meteoriten schlagen auf der Erde ein, ja? Irgendwo müssen sie schließlich landen.«
»Du meinst, er ist echt von so einem Ding getroffen worden? Wie groß? Und wann? Wann ist das passiert – vor zehn Jahren oder gestern, oder was?«
»Ich will dich nicht anlügen, Ty: ich hab ihn geliebt. Jedenfalls dachte ich das.«
»Tja, und du dachtest auch, daß du mich liebst. Hat mir ne Menge genützt.«
»Hör zu, ich will das alles nicht wieder aufwärmen, ja? Deshalb bin ich nicht...«
»Wie war es, ist er wie von einer Kugel durchbohrt worden? Einschlag durchs Dach?«
»Er kochte sich gerade ein weiches Ei. In der Küche. Er lebte in einer dieser Wohngemeinschaften für Leute wie mich, die nie was für die Rente gespart haben – und frag bloß nicht, denn ich werde kein Wort sagen über meine momentanen Lebensumstände, also laß es.« Sie betupfte sich mit der Serviette die Lippen und nahm einen kummervollen Schluck des leicht fettigen Sake, immerhin der beste des Hauses. (Hab ich erwähnt, daß Weintrauben der Vergangenheit angehören? Napa und Sonoma Valley sind inzwischen Reisfelder, die Winzergebiete von Loire und Rhein sind so naß, daß man dort wohl besser Ananas pflanzen sollte – die gute
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