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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die ihre Freizeit damit verbrachten, in jedem Ort entlang der Pazifikküste sämtliche Büsche, Bäume, Türklinken, Briefkästen und Autoantennen mit patriotischen gelben Schleifchen zu verzieren. Sie hatten Hypotheken, Wohnwagen, Motorboote, Pläne für die Zukunft, und auf den verdreckten Stoßstangen ihrer Pickups prangten Aufkleber wie Rette ein Stinktier, überfahr einen Ökofreak und Arbeiten Sie für Ihren Lebensunterhalt oder sind Sie Umweltschützer?. Sie waren zornig – zornig geboren –, und sie schraken nicht vor körperlichen Aktionen der einen oder anderen Art zurück. Apropos ungute Gefühle – seine Tochter ist erst dreizehn Jahre alt, trotz ihrer Gruftiaufmachung, des Nasenrings und des Haarcapes, das sich wie in der Werbung um ihre Schultern schmiegt, und sie hat noch an keinem einzigen Akt von zivilem Ungehorsam teilgenommen, nicht mal an einer Demo am hellichten Tag mit surrenden Minicams und Tausenden anderen Teilnehmern. »Bitte«, flehte er, »dann eben nur unter den Augen. Um die hellsten Flecken zu tarnen.«
    Andrea schüttelte nur den Kopf. Schwarz stand ihr gut, das mußte er zugeben, und die Strickmütze, tief in die Stirn gezogen, sah mächtig sexy aus. Sie waren seit drei Monaten verheiratet, alles an ihr war immer noch neu und eine Offenbarung, bis hin zu der Art, wie sie morgens in ihre Jeans schlüpfte oder über einem Topf mit Ratatouille die Lippen schürzte, zwischen denen ein schmaler grüner Paprikastreifen verschwand, während der Dampf ihr hexenhaft ins Haar stieg. »Und wenn uns die Polizei anhält?« fragte sie. »Schon mal überlegt? Wie willst du die Schminke erklären? ›Wissen Sie, Officer, wir sind nämlich alles Footballstürmer‹? Oder: ›Ach, wir haben gerade bei einer tollen Minstrel-Show mitgespielt‹?« Sie war die Erfahrenste – im Demonstrieren, Protestieren, Organisieren –, und sie steckte keinen Millimeter zurück. »Weißt du«, sagte sie und fuhr sich mit dem Finger unter den Rand der Mütze, »dein Problem ist einfach, daß du zu viele Filme gesehen hast.«
    Möglich. Dennoch ist dieser Kommentar nicht wirklich relevant, nicht jetzt und nicht hier. Dies ist die Wildnis, oder was davon übrig ist. Die Nacht ist tief, die Straße unwegsam, die Sterne nur schwache Erinnerungen an die Geburt des Universums. Für jeden lebenden Menschen gibt es da draußen neun Galaxien, jede davon mit rund einhundert Milliarden Sonnen, und trotzdem sieht er kaum die Hand vor Augen, tappt wie ein Schlafwandler dahin, immer einen Fuß vor den anderen. Das hier ist verrückt, denkt er sich, es bringt garantiert Ärger, so als würde man in einer Höhle herumstolpern, in der gleich der Boden einkracht. Er fragt sich, ob die anderen sich auch so mies fühlen, denkt kurz an Vitamin-A-Tabletten und Nachtsichtbrillen, als irgendwo vor ihnen eine Eule ruft, ein einzelner zitternder Schrei, der besagt, daß sie gerade etwas in den Klauen erwürgt.
    Seine Tochter, die sich nur durch das rhythmische Manschen ihres Kaugummis bemerkbar macht, fragt in dramatischem Flüsterton, ob das vielleicht ein Fleckenkauz ist. »Ich meine, das wäre doch irre, oder?«
    Er kann ihr Gesicht nicht sehen, die Nacht ist wie eine zu weite Jacke, im Geist ist er bereits viele Kilometer weiter, und er antwortet, ohne nachzudenken: »Schön wär’s.«
    Unmittelbar neben ihm, aus der Leere zu seiner Linken, mischt sich eine weitere Stimme ein, die von Andrea, seiner zweiten Frau, der Frau, die nicht Sierras leibliche Mutter ist und daher in allen Streitigkeiten, Reibereien, Mißverständnissen, Tatsachenverdrehungen und fehlgeschlagenen Abenteuern problemlos die Rolle ihrer Anwältin übernehmen kann. »Jetzt laß bloß das Mädchen in Ruhe, Ty.« Und dann, mit Flüstern so sanft wie eine Feder, die durch die Dunkelheit schwebt: »Aber sicher, Liebes, das ist ein Fleckenkauz, das hört man sofort.«
    Tierwater geht weiter, den feuchten Duft des aktiven nächtlichen Waldes in der Nase, den Geschmack danach auf der Zunge – Moder im Übergang zu einem anderen Element: transsubstantiierter Moder –, aber er ist mit einemmal sauer. Die Sache gefällt ihm nicht. Gefällt ihm ganz und gar nicht. Er weiß, daß es notwendig ist, er weiß, daß die Wälder geschändet werden, daß die Erde bis auf den letzten Zweig abgeholzt wird und daß irgend jemand sie retten muß, dennoch gefällt es ihm nicht. Die zitternde Stimme verrät seine Anspannung. »Jetzt halt aber den Mund, ja? Wir wollen hier unauffällig

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