Ein frivoler Plan
Oswalt wusste, dass sie nicht tatenlos herumsitzen und dem Schicksal seinen Lauf lassen würde.
Dann wurde der Knauf gedreht, und Julia wich zu der Pritsche zurück. Sie hätte ihre Zeit damit verbringen sollen, nach etwas zu suchen, das sich als Waffe verwenden ließ. In dem Wächter erkannte sie einen der Männer aus dem Haus ihres Onkels.
„Gut, Sie sind wach und wohlauf. Der Herr wird froh sein, das zu hören.“ Er hielt ihr eine längliche Schachtel hin, die er unter dem Arm getragen hatte. „Er sagt, Sie sollen das hier anziehen.“
Julia machte keine Anstalten, nach der Schachtel zu greifen. „Was ist das?“
Der Mann schnaubte. „Das ist ein Hochzeitskleid. Sie haben zwanzig Minuten, um es anzuziehen. Der Herr will, dass die Zeremonie bei Sonnenuntergang stattfindet.“
„Und wenn ich das nicht tue?“ Hochmütig warf sie den Kopf zurück. Der Mann sollte wissen, dass sie sich weder von seiner Statur noch von seiner Grobheit einschüchtern ließ.
„Dann können Sie nackt an Ihrer Hochzeit teilnehmen.“ Er warf die Schachtel auf die Pritsche.
„Gehen Sie hinaus. Die Zeit läuft“, befahl Julia mit einem letzten Anflug von Mut.
Er schnaubte wieder. „Sie können jetzt ruhig hochmütig sein – lange wird das nicht mehr anhalten.“
Die Tür schlug zu, und Julia seufzte. Sie hätte besser daran getan, nach mehr Informationen zu suchen, anstatt den Wärter zu verärgern. Warum Sonnenuntergang? Zumindest wusste sie jetzt, was geschehen würde. Sie würde an einen anderen Ort gebracht werden. In diesem Zimmer spielte der Sonnenuntergang keine Rolle.
Im Augenblick war es für sie das Beste, zu gehorchen. Durch die unglücklichen Konsequenzen hatte sie gelernt, wie dumm ihr Widerstand im Haus gewesen war. Vielleicht hätte sie sogar Aufmerksamkeit erregen oder um Hilfe rufen können. Im bewusstlosen Zustand hatte sie die Sache für Oswalt nur noch leichter gemacht.
Misstrauisch hob sie den Deckel der Schachtel. Das Hochzeitskleid ähnelte mehr einem Gewand als einem Kleid – eine ärmellose, gerade geschnittene Robe aus weißer Seide. Am Boden der Schachtel lag ein Gürtel aus gedrehtem Gold, mit Steinen besetzt, und zwei breite goldene Armbänder mit Türkisen. Alles zusammen sah aus wie etwas, das eine Druidenpristerin tragen würde, wie etwas, das sie vor Jahren in einem Geschichtsbuch über frühe Bretonen gesehen hatte.
Plötzlich kam ihr ein Geistesblitz. Druiden. Mittsommer. Die Sommersonnenwende. Das Feuer. Panikerfüllt versuchte sie, sich an das Datum zu erinnern. Oswalts Vorstellung von einer Hochzeit wurde auf einmal deutlicher. Sie war sicher, dass das Datum des heutigen Tages der 21. Juni war. Das erklärte das seltsame Kleid und den Wunsch, die Hochzeit bei Sonnenuntergang stattfinden zu lassen.
„Fünfzehn Minuten!“, rief der Wächter durch die Tür.
Sie musste sich beeilen. Sie bezweifelte nicht, dass der Mann draußen seine Drohung wahrmachen und sie nach unten zerren würde, notfalls nackt.
Rasch kleidete Julia sich an, versuchte, nicht an die bevorstehenden Ereignisse zu denken und was diese bedeuten mochten. Das Entsetzen wäre zu überwältigend, geradezu lähmend. Sie musste wachsam bleiben, musste nach einer Möglichkeit suchen zu fliehen oder sich zu verteidigen. Sie biss sich auf die Lippe. Sie hoffte, den Mut aufzubringen, das zu tun, was getan werden musste, und wenn es eine Gelegenheit gab, Oswalt zu töten und sich zu befreien, dann hoffte sie, auch dazu den Mut aufzubringen.
Der Wächter kam zu ihr, als sie das letzte der Armbänder befestigte. Und er brachte noch zwei Männer mit, die Julia in ihre Mitte nahmen. Ihr Weg führte sie zu einem Zimmer, das zwei Stockwerke tiefer lag.
„Wo ist Oswalt?“, fragte Julia und blickte sich während des Gehens um, versuchte, sich Ecken und Gänge einzuprägen, alles, was ihr in Zukunft nützlich sein könnte, doch das Haus war bedauerlicherweise recht kahl. Sie fragte sich, ob Oswalt das absichtlich so eingerichtet hatte. Keine Bilder oder Farben an den Wänden. Plötzlich hatte sie Paines Schlafzimmer vor Augen, das so heimelig, so warm gewesen war. Sie sehnte sich zurück zu den zärtlichen Stunden der Zweisamkeit.
Nein, denke nicht an ihn, ermahnte sie sich. Die Gedanken an Paine würden ihr nur die Tränen in die Augen treiben.
„Es bringt Unglück, die Braut vor der Hochzeit zu sehen.“ Die Wärter lachten über ihren Scherz. „Sie bekommen ihn schon früh genug zu sehen.“
Sie führten sie in einen
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