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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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tauchte ihre Hand in die Terrine, schöpfte etwas Wasser, besprengte damit Aliks Kopf und schloß:
    ». . . taufe ich den Knecht Gottes Alik.«
    Sie merkte nicht einmal, daß ihr der so passende Name Alexander im entscheidenden Moment entfallen war.
    Weiter wußte sie nicht. Mit dem Kreuz in der Hand setzte sie sich neben Alik und strich ihm mit den Fingern das Taufwasser über Gesicht und Brust. Eine der drei Kerzen bog sich und fiel allen physikalischen Gesetzen zuwider nicht nach außen, sondern in das nun geweihte Gefäß. Zischte und verlosch. Dann hängte Nina Alik ihr Kreuz um.
    »Alik, Alik«, rief sie ihn an. Er reagierte nicht, holte nur mit kehligem Schnarchen Luft und verstummte wieder.
    »Fima!« rief sie.
    Fima kam herein.
    »Schau mal, was ich gemacht habe, ich hab ihn getauft.«
    Fima verhielt sich ganz professionell.
    »Na ja, hast du ihn eben getauft. Schaden kann’s nicht.«
    Die Lebhaftigkeit und das wunderbare Gefühl, alles richtig zu machen, verließen Nina auf einmal. Sie schob den Hocker in die Ecke, legte sich neben Alik und redete verworrenes Zeug; Fima hörte gar nicht hin.
    Die Tür ging auf, und Kipling kam herein, der stille Hund, der schon den dritten Tag an der Tür lag und auf sein Frauchen wartete. Er legte seinen Kopf auf die Liege.
    Er muß mal raus, erriet Fima. Kurz nach sechs mußte er los zur Arbeit. Joyka war beleidigt abgehauen. Mitten in der Nacht war auch Ljuda gegangen. Fima weckte den Schlafenden. Es war nicht Libin, wie er vermutet hatte, sondern Schmul. Das war sehr praktisch, denn Schmul lebte schon seit knapp zehn Jahren, seit er in Amerika war, von Sozialhilfe und mußte nirgendwohin. Fima rüttelte ihn wach, gab ihm Anweisungen für den Notfall und seine Telefonnummer im Dienst. Nun mußte er nur noch mit dem Hund raus, der brav an der Tür stand und mit dem Schwanz wedelte, und dann konnte er zur Arbeit fahren.

16
    A m Tag nach der Taufe verließ Nina das Schlafzimmer nicht, sie lag neben Alik, hielt seine Beine umklammert und ließ niemanden herein.
    »Leise, leise, er schläft«, sagte sie jedem, der die Tür aufmachte.
    Alik war in einem Dämmerzustand, er röchelte nur hin und wieder. Dabei nahm er alles wahr, was um ihn herum gesprochen wurde, aber wie aus weiter Ferne. Manchmal wollte er sogar sagen, daß alles in Ordnung sei, aber der Schal war zu fest zugebunden, und er konnte ihn nicht lockern.
    Zugleich war er stark in Anspruch genommen von ganz neuartigen Empfindungen. Er fühlte sich leicht, wie in Nebel gehüllt und völlig mobil. Es war, als bewege er sich in einem Schwarzweißfilm, aber das Schwarze war nicht ganz schwarz und das Weiße nicht ganz weiß. Vielmehr bestand alles aus Grautönen, als wäre der Film alt und abgenutzt. Das war keineswegs unangenehm.
    Die Bewegung, nach der er seit Monaten so ausgehungert war, empfand er als ungeheuren Genuß, vergleichbar höchstens mit einem Drogenrausch. Die Schatten am Rand des verschwommenen Weges kamen ihm vage vertraut vor. Manche erinnerten an die Silhouetten von Bäumen, andere sahen aus wie Menschen. Wieder erschien sein Lehrer Nikolai Wassiljewitsch, und Alik war zufrieden: Das Auftauchen von Nikolai Wassiljewitsch, Galosche, dem Mathematiker, einem Mann von strengem, nüchternem Verstand, bewies, daß alles vollkommen real war; es enthob ihn der leisen Zweifel, ob es nicht nur ein Traum sei, Fieberwahn. . . Nikolai Wassiljewitsch erkannte ihn offensichtlich, grüßte ihn, und Alik bemerkte, daß er auf ihn zukam.
    Nina klapperte wieder mit ihren Flaschen, aber das Klappern war eher angenehm, wie Musik. Sie goß sich die Reste einer Kräutertinktur in die Hände und flüsterte etwas Undeutliches, aber das alles störte ihn nicht, ganz und gar nicht. Galosche war nun schon ganz nah, und Alik sah, daß er noch immer lautlos die Lippen bewegte, wie früher in der Schule. Alik hatte diese seine Angewohnheit ganz vergessen, nun erinnerte er sich voller Rührung wieder daran. Auch das überzeugte ihn: Nein, das war kein Traum, kein Traum, es war alles wirklich.
    Am Mittag kamen zwei Handwerker, um die Klimaanlage zu reparieren, ein gleichgültiger Mulatte voller Goldkettchen und sein schmächtiger junger Gehilfe. Einer von Aliks Freunden hatte sie bestellt und die Reparaturkosten übernommen. Nina ließ sie herein. Sie brachten die Klimaanlage schnell in Gang und warfen keinen einzigen Blick auf den Sterbenden. Die Hitze im Zimmer wich rasch staubiger Kühle. Dann kam Valentina; Nina ließ sie nicht

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