Ein froehliches Begraebnis
ins Schlafzimmer, darum blieb sie im Atelier bei der verheulten Joyka.
Auf dem schmutzigen weißen Teppich in der Ecke hatte es sich T-Shirt gemütlich gemacht; eine zusammengerollte Decke unterm Kopf, las sie auf englisch ein Buch, das sie gern im Original gelesen hätte. Es war das »Große Buch vom völligen Nirwana«. Seit gestern bedauerte sie immer wieder, daß sie kein Mann war und nicht in ein tibetisches Kloster gehen konnte. Am Morgen hatte sie ihre Mutter gefragt, ob sie sich nicht operieren lassen könnte, um ihre Brust um die Hälfte zu verkleinern. Als wäre sie damit dem ersehnten Los eines tibetischen Mönches greifbar näher.
Alik hatte mehrere Kissen im Rücken, er saß fast aufrecht im Bett. Nina befeuchtete ihm die dunkel gewordenen, ausgetrockneten Lippen und versuchte, ihm mit einem Strohhalm Wasser einzuflößen, aber es rann gleich wieder heraus.
»Alik, Alik«, rief sie, berührte und streichelte ihn. Sie legte die Lippen auf seine Magengrube und fuhr mit der Zunge weiter hinunter, zum Nabel, die kaum wahrnehmbare Linie entlang, die den Menschen zweiteilt. Sein Körper roch fremd, seine Haut schmeckte bitter. Mit dieser bitteren Marinade beizte sie ihn seit zwei Monaten unablässig.
Sie verharrte in den kurzen roten Locken und dachte: Die Haare verändern sich überhaupt nicht.
Schließlich hörte sie auf, ihn zu zausen, wurde still, und plötzlich sagte Alik ganz deutlich:
»Nina, ich bin wieder völlig gesund.«
Als Fima gegen acht von der Arbeit kam, fand er im Schlafzimmer ein höchst sonderbares Bild vor: Splitternackt saß Nina auf ihrem schwarzen Kimono vor Alik, rieb sich die wunderschönen Hände mit Kräuterschlamm ein und sagte dabei immer wieder:
»Siehst du, wie das hilft, das sind gute Kräuter . . .«
Sie hob die glänzenden Augen zu Fima und sagte feierlich und schlaftrunken:
»Alik hat mir gesagt, er ist wieder gesund.«
Er ist tot, vermutete Fima. Er berührte Aliks Hand – sie war leer, der Trommelrhythmus war verstummt.
Fima ging hinüber ins Atelier, goß sich ein Wasserglas halbvoll mit billigem Wodka aus einer großen Henkelflasche, trank ihn und lief ein paarmal von einem Ende des Ateliers zum anderen. Es war noch nicht viel Betrieb, die meisten kamen später. Niemand beachtete ihn, alle waren beschäftigt: Valentina und Libin spielten mit Aliks Backgammon, Joyka legte Tarot-Karten, wie Nina es ihr beigebracht hatte; sie versuchte Klarheit in ihr ohnehin klares einsames Leben zu bringen. Faina aß Spiegelei mit Mayonnaise; sie aß alles mit Mayonnaise. Ljuda aus Moskau hatte längst sämtliches Geschirr abgewasehen, saß nun neben ihrem Sohn vor dem Fernseher und wartete auf Neuigkeiten aus Moskau.
»Aljoscha, mach den Fernseher aus, Alik ist tot«, sagte Fima leise. So leise, daß ihn keiner hörte.
»Kinder, Alik ist tot«, wiederholte er ebenso leise.
Die Lifttür klappte, und Irina kam herein.
»Alik ist tot«, sagte er zu ihr, und nun hörten es endlich alle.
»Jetzt schon?« entfuhr es Valentina so klagend, als hätte er ihr versprochen, ewig zu leben, und durch seinen vorzeitigen Tod alle Pläne zunichte gemacht.
»Oh, shit«, rief T-Shirt, schleuderte ihr Buch in die Ecke und stürzte zum Lift, wobei sie fast ihre Mutter umrannte.
Irina stand an der Tür und rieb sich die angerempelte Schulter.
Vielleicht sollte ich für eine Woche nach Rußland fahren, dachte sie, Kasanzews suchen und Aliks Schwester Gisja. Sie ist bestimmt schon eine alte Frau, sie war vierzehn Jahre älter als Alik. Sie hatte mich gern.
Joyka legte die Karten weg und fing an zu weinen.
Plötzlich zogen sich alle etwas an. Valentina schlüpfte in einen langen indischen Rock. Ljuda zog ihre Sandalen an. Alle wollten ins Schlafzimmer, aber Fima hielt sie zurück:
»Wartet, Nina weiß es noch nicht. Wir müssen es ihr sagen.«
»Sag du’s ihr«, bat Libin.
Er sprach eigentlich seit drei Jahren nicht mehr mit Fima, jetzt aber fiel ihm gar nicht auf, daß er sich an ihn wandte.
Fima öffnete die Schlafzimmertür einen Spalt und sah hinein. Alles war unverändert. Alik lag da, bis zum Kinn mit dem orangegelben Laken bedeckt, und auf dem Boden saß Nina, rieb sich die schmalen, langfingrigen Hände ein und murmelte:
»Das sind gute Kräuter, Alik, die haben eine unheimliche Kraft.«
Kipling war auch im Zimmer. Er hatte die Vorderpfoten auf die Liege gelegt und darauf seinen klugen, traurigen Kopf.
Von wegen Hunde haben Angst vor Toten, alles Unsinn, dachte Fima.
Er
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