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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Fensterbrett.
    Einer der Paraguayer, der Dolmetscher, bat Valentina, ihr Haar berühren zu dürfen. Mit einer Hand fuhr er in seine grobe, pechschwarze Mähne, mit der anderen strich er durch Valentinas Haar mit den verschiedenfarbigen Strähnen und lachte; ihr bunter Kopf gefiel ihm. Sie waren vor zwei Wochen aus einem großen Dorf, das sich im tropischen Regenwald verlor, nach New York gekommen und hatten noch nicht alle Wunder der für sie neuen Welt mit eigenen Händen berührt. Valentina aber hatte das eigenartige Gefühl, als habe sie plötzlich eine Kappe auf dem Kopf. Übrigens war das durchaus nicht unangenehm, und nach ein paar Minuten war es vorbei.
    Alik schnappte nach Luft. Er wußte, er mußte kräftig atmen, sonst fror der warme Spalt im Schal zu. Er atmete mehrmals krampfhaft ein und kam mit dem Ausatmen nicht nach.
    »Ich bin müde«, sagte er.
    Fima faßte nach seinem Handgelenk, das dürr war wie der Ast eines toten Baumes. Es starb das Zwerchfell, es starben die Lungen, es starb das Herz. Fima öffnete seine Arzttasche und überlegte. Er könnte Kampfer spritzen, das erschöpfte Herz ankurbeln, es zum Galoppieren bringen. Aber wie lange würde es durchhalten? Oder ein Betäubungsmittel. Angenehmes Vergessen, aus dem Alik wohl nicht mehr zurückkehren würde. Und wenn man alles so ließ, wie es war? Noch einen Tag oder zwei. Keiner wußte, wie viele Stunden das dauern konnte.
    Dieses Land verabscheute das Leiden, lehnte es grundsätzlich ab und akzeptierte es nur als Einzelfall, der unverzüglich behoben werden mußte. Die junge Nation, die das Leiden negierte, hatte ganze Schulen entwickelt, philosophische, psychologische und medizinische, die nur eine einzige Aufgabe hatten: dem Menschen um jeden Preis das Leiden zu ersparen. Diese Idee ging nur mit Mühe in Fimas russischen Kopf. Das Land, aus dem er stammte, liebte und schätzte das Leiden, nährte sich sogar davon; durch Leiden wächst der Mensch, wird er erwachsen und klüger. Und auch Fimas jüdisches Blut, Jahrtausende immer wieder durch Leiden gefiltert, enthielt eine lebenswichtige Substanz, die ohne Leiden nicht existieren konnte. Wird solchen Menschen das Leiden genommen, verlieren sie den Boden unter den Füßen.
    Aber mit Alik hatte das nichts zu tun. Fima wollte nicht, daß sein Freund in seinen letzten Stunden so grausam litt.
    »Ninotschka, jetzt rufen wir den Notarzt«, sagte Fima bedeutend entschiedener, als er innerlich war.

14
    D er Krankenwagen kam nach fünfzehn Minuten. Ein kräftiger junger Schwarzer mit vorstehendem Kiefer, baumlang wie ein Basketballspieler, und ein schmächtiger Intellektueller mit Brille. Der Schwarze war der Arzt, der andere, vermutete Fima, ein geflohener Pole oder Tscheche, der das amerikanische Diplom auch noch nicht geschafft hatte. Eine unerwünschte und unangenehme Gemeinsamkeit. Fima stellte sich ans Fenster.
    Der Schwarze schlug das Laken zurück. Bewegte seine Hand vor Aliks Augen. Alik reagierte nicht. Der Arzt faßte nach seinem Handgelenk, das in der gewaltigen Pranke verschwand wie ein Bleistift. Der Satz, den er dann sagte, war lang und nicht zu verstehen. Fima erriet mehr, daß er von künstlicher Lunge und Krankenhaus sprach. Aber er verstand nicht einmal, ob er Alik mitnehmen wollte oder sich im Gegenteil weigerte.
    Aber Nina schüttelte Kopf und Haar und sagte auf russisch, daß sie Alik nirgendwohin fahren lasse. Der Arzt sah die abgemagerte Schöne aufmerksam an, schlug dann seine großen Lider mit den riesigen Wimpern nieder und sagte:
    »Ich verstehe, Ma’am.«
    Dann füllte er den Inhalt von drei Ampullen in eine große Spritze und jagte sie Alik zwischen Haut und Knochen, in die kaum noch vorhandene Hüfte.
    Der Bebrillte war mit seinem Schreibkram fertig, runzelte mit Leidensmiene die buschigen Brauen im langnasigen Gesicht und sagte zu dem Arzt, mit einem Akzent, der selbst Fima ungeheuerlich vorkam:
    »Die Frau ist in schlechtem Zustand, geben Sie Tranquilizer vielleicht, in Anbetracht. . .«
    Der Arzt streifte die Handschuhe ab, warf sie in seinen Koffer und murmelte etwas Verächtliches, ohne den anderen auch nur anzusehen. Fima wurde ganz schlecht. Wie der ihn . . .
    Warum sitze ich hier rum wie der letzte Arsch, das bringt doch nichts. Ich muß zurück, dachte Fima. Und erschrak auf einmal: Kann ich wirklich wieder Arzt sein? Schaffe ich diese ganzen blöden Prüfungen denn auf russisch? Aber wer fragt in Charkow schon danach, da reicht auch das Diplom.
    Als die

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