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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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nutzlosen Mediziner wieder weg waren, entfaltete Nina auf einmal hektische Geschäftigkeit. Wieder hantierte sie mit ihren Flaschen. Sie setzte sich an Aliks Fußende, goß sich eine Flüssigkeit auf die Hand und rieb Alik die Beine ein, von den Zehen nach oben, zur Wade, dann zur Hüfte.
    »Die verstehen nichts, überhaupt nichts. Keiner versteht was, Alik. Sie glauben einfach an nichts. Aber ich glaube. Ich glaube. Mein Gott, ich glaube doch. . .« Sie goß sich immer wieder etwas auf die Hand, Flecke breiteten sich auf dem Laken aus, es spritzte nach allen Seiten, aber sie rieb Alik verbissen die Beine ein, dann die Brust.
    »Alik, Alik, mach doch irgendwas, sag doch was. Diese verfluchte Nacht. Morgen wird’s besser, bestimmt . . .«
    Aber Alik antwortete nicht, er atmete nur krampfhaft, mühsam.
    »Nina, leg dich ein bißchen hin, ja? Und ich massiere ihn. Gut?« schlug Fima vor, und sie willigte überraschend schnell ein. »Und dann kümmert sich Joyka. Sie wollte heute nacht Wache halten. Vielleicht legst du dich dorthin, auf den Teppich. Und sie setzt sich hierher.«
    »Sie soll abhauen. Ich brauche keinen.« Sie legte sich mit dem Gesicht nach unten zu Aliks Füßen, quer über die breite Liege, auf der er sich nun ganz und gar verlor, und redete noch immer weiter:
    »Wir fahren nach Jamaika oder nach Florida. Wir mieten uns ein großes Auto und nehmen alle mit, Valka, Libin und alle, die wir wollen. In Disneyland fahren wir unterwegs auch vorbei. Stimmt’s, Alik? Das wird prima. Wir übernachten in Motels, wie damals. Die haben doch keine Ahnung, die Ärzte. Wir bringen dich mit Kräutern wieder auf die Beine, damit sind schon ganz andere wieder auf die Beine gekommen. Schon ganz andere sind wieder gesund geworden.«
    »Du solltest ein bißchen schlafen, Nina.«
    Sie nickte.
    »Bring mir was zu trinken.«
    Fima ging ihr was zu trinken holen. Die meisten Gäste waren gegangen.
    Im Atelier lag Joyka mit dem grauen Dostojewski-Band in einer Ecke und wartete darauf, daß sie zum Wachen geholt wurde. Neben ihr schlief, eine Decke über den Kopf gezogen, ein Gast, der geblieben war. Ljuda war noch beim Abwaschen und fragte Fima:
    »Und?«
    »Agonie«, antwortete Fima nur.
    Er brachte Nina ihr Glas. Sie leerte es, rollte sich zu Aliks Füßen zusammen, murmelte noch etwas Undeutliches und schlief bald ein. Sie schien nicht zu begreifen, was los war.
    Morgen, das heißt heute, mußte Fima zur Arbeit, übermorgen konnte er freinehmen, und am Tag darauf würde er wahrscheinlich nicht mehr gebraucht. Er setzte sich auf die Liege, die buckligen, dichtbehaarten Knie gestreckt, ein knorriger Pechvogel und Langweiler. Jetzt konnte er nichts tun als dasitzen, traurig Wodka mit Saft schlürfen, Alik die Lippen befeuchten – schlucken konnte er nun nicht mehr – und auf das warten, was geschehen mußte.
    Gegen Morgen begannen Aliks Finger heftig zu zittern, und Fima entschied, daß es Zeit war, Nina zu wecken. Er streichelte ihr den Kopf; sie war weit weg gewesen und brauchte wie immer lange, um zu begreifen, wo sie jetzt gelandet war. Als sich in ihren Augen Erkennen spiegelte, sagte Fima zu ihr:
    »Nina, steh auf!«
    Sie beugte sich über ihren Mann und staunte wieder über die Veränderung, die mit ihm vor sich gegangen war in der kurzen Zeit, während sie geschlafen hatte. Sein Gesicht war jetzt das eines Vierzehnjährigen, kindlich, ruhig und heiter. Aber sein Atem war kaum noch zu hören.
    »Alik.« Sie berührte seinen Kopf, seinen Hals. »Du, Alik. . .«
    Seine Aufmerksamkeit für sie war immer geradezu übernatürlich gewesen. Auf ihren Ruf reagierte er jedesmal umgehend und aus beliebiger Entfernung. Er rief sie aus einer anderen Stadt genau in dem Moment an, wenn sie ihn in Gedanken darum bat, wenn sie ihn brauchte. Aber nun war er teilnahmslos – wie noch nie.
    »Fima, was ist los? Was ist mit ihm?«
    Fima legte ihr den Arm um die mageren Schultern.
    »Er stirbt.«
    Und sie begriff, daß es tatsächlich so war.
    Ihre durchsichtigen Augen lebten auf, sie straffte sich und sagte überraschend fest zu Fima:
    »Geh raus und komm vorerst nicht wieder rein.«
    Wortlos ging Fima hinaus.

15
    L juda stand unschlüssig an der Tür und sah herein. »Alle raus, alle!« Ninas Geste war majestätisch, sogar theatralisch. Joyka, die in der Ecke saß, das Kinn auf die Knie gestützt, wunderte sich:
    »Nina, ich wollte doch bei ihm sitzen.«
    »Ich hab gesagt, alle raus.«
    Joyka war erbost, zitterte am ganzen Leib und

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