Ein Ganz Besonderer Fall
behelligt werden.«
»Nur noch Bruder Fidelis. Weiß er alles?«
»Ja, alles!« entgegnete Humilis mit schwachem, liebevollen Lächeln. »Wir brauchen ihn nicht zu fürchten, denn selbst wenn er sprechen könnte, würde er es nicht tun; er weiß genau, was mir fehlt. Aber laßt ihn in Frieden, bis die Vesper vorbei ist.«
Cadfael ließ ihn mit geschlossenen Augen liegen. Er war jetzt ruhiger; die Falten in seinem Gesicht hatten sich entspannt, als die Schmerzen nachließen. Cadfael suchte Bruder Edmund und fing ihn gerade rechtzeitig vor der Vesper ab. Die vollen Körbe mit Pflaumen lagen an der Gartenhecke und warteten darauf, nach dem Gottesdienst fortgeschafft zu werden. Die Erntearbeiter waren nach einer hastigen Waschung sicher schon in der Kirche. Gut so! Bruder Fidelis mochte Einwände haben, wenn ein anderer als er selbst die Pflege seines Herrn übernehmen wollte. Wenn er ihn aber später erholt und gut versorgt vorfand, dann mochte er sich in das fügen, was geschehen war. Ein ebenso guter Zugang zu seinem Vertrauen wie jeder andere.
»Ich wußte, daß man uns sehr bald schon brauchen würde«, erklärte Edmund, der energisch die Treppe hinaufstieg. »Alte Wunden, glaubt Ihr? Da vermag Eure Geschicklichkeit sicher mehr als die meine, denn Ihr kennt die Wunden des Kampfes aus eigener Erfahrung.«
Die Glocke war verstummt. Die ersten Laute des Abendgottesdienstes drangen gedämpft aus der Kirche, als sie die Zelle des Kranken betraten. Er schlug langsam die schweren Lider auf und lächelte sie an.
»Brüder, es tut mir leid, daß ich Euch solche Mühe mache…«
Die tiefliegenden Augen waren wieder verhangen, doch er war völlig wach und fügte sich willig in die Behandlung.
Sie zogen das Leinen herunter, das ihn von der Hüfte abwärts bedeckte, und legten den zerschundenen Körper frei.
Ein schrecklich verunstaltetes Narbengewebe erstreckte sich von der linken Hüfte, wo der Knochen wie durch ein Wunder nicht beschädigt war, schräg über den Bauch bis tief in den Schritt hinab. Die Haut war bleich wie Kalk, und darunter waren Riefen; die Eingeweide waren halb herausgequollen und steinhart verheilt. Doch weiter oben war das Narbengeflecht gerötet und purpurn angelaufen, und im entzündeten Bauch klaffte eine feuchte Wunde, aus der ein übelriechender Saft und ein kleines Blutrinnsal drangen.
Godfrid Marescot war auf dem Kreuzzug unheilbar verstümmelt worden, doch er hatte die Verletzung überlebt. Die gesichtslosen, fingerlosen Aussätzigen, die nach St. Giles hereinkriechen, dachte Cadfael, haben nicht schlimmer zu leiden als der hier. Hier endet sein Geschlecht in einem edlen Gewächs, das sich nicht fortpflanzen kann. Was nützt die Tapferkeit eines Mannes, wenn man kein Mann mehr ist?
3. Kapitel
Edmund lief nach weichen Tüchern und warmem Wasser, Cadfael holte Tränke und Salben und Gebräue aus seinem Herbarium. Morgen wollte er frisches, saftiges Zehrkraut holen, dazu Immergrün und Wundkraut, die frisch gepflückt wirksamer waren als die Cremes und Lotionen, die er der längeren Haltbarkeit wegen aus ihnen herstellte. Doch für den Augenblick mußten sie reichen. Sanikel, Kreuzkraut, Pfennigkraut, Natterzunge, alle reinigend und zusammenziehend und gut für alte, entzündete Wunden, konnten in den Hecken und Wiesen und an den Ufern des Meole-Baches gefunden werden.
Sie säuberten die aufgebrochene Wunde mit einer Lotion aus Kreuzkraut und Sanikel von den Absonderungen, rieben sie mit einer Paste aus diesen beiden Kräutern und Zehrkraut und Immergrün ein und bedeckten sie mit sauberem Leinen. Sie umhüllten den geschundenen Rumpf ihres Patienten mit Bandagen, um die Wundauflage an Ort und Stelle zu halten.
Cadfael hatte außerdem einen Trank mitgebracht, der die Schmerzen linderte, einen Sirup aus Kreuzkraut und Johanniskraut und Wein mit etwas Mohnsirup. Bruder Humilis ergab sich ihren Händen und ließ sie tun, was sie für richtig hielten.
»Morgen«, erklärte Cadfael, »würde ich frische Kräuter sammeln und zu einem grünen Pflaster zerdrücken. Das wirkt stärker, es wird die Schwären auszehren. Ist dies schon oft geschehen, seit Ihr verletzt wurdet?«
»Noch nicht oft. Nur wenn ich überanstrengt bin, dann passiert es«, erwiderten die bläulichen Lippen, ohne zu klagen.
»Dann dürft Ihr Euch nicht überanstrengen. Aber es ist schon einmal geheilt und wird wieder heilen. Das Wundkraut trägt seinen Namen völlig zu Recht. Bleibt jetzt nur zwei oder drei Tage ruhig
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