Ein Ganz Besonderer Fall
liegen, bis sich die Wunde sauber geschlossen hat, denn wenn Ihr aufsteht und lauft, wird die Heilung länger dauern.«
»Er sollte von Rechts wegen im Krankenquartier sein«, sagte Edmund besorgt. »Dort kann er so lange ungestört liegen, wie es nötig ist.«
»Das sollte er«, stimmte Cadfael zu, »aber er ist nun gut gebettet, und je weniger er sich bewegt, desto besser. Wie fühlt Ihr Euch jetzt, Bruder?«
»Besser«, sagte Bruder Humilis mit einem schwachen Lächeln.
»Weniger Schmerzen?«
»Kaum noch. Die Vesper ist sicher vorbei«, erklärte die schwache Stimme, und die geschwungenen Lider zogen sich von den starren Augen zurück. »Er soll sich meinetwegen nicht sorgen… er hat schon Schlimmeres gesehen - laßt ihn zu mir kommen.«
»Ich will ihn zu Euch schicken«, sagte Cadfael und machte sich sofort auf den Weg, denn diese Nachgiebigkeit gegenüber dem stoischen Geist war nützlicher als alles andere, was man im Augenblick noch für den verwüsteten Körper tun konnte.
Bruder Edmund folgte ihm die Treppe hinunter und hielt sich besorgt hinter ihm.
»Wird es auch heilen? Ein Wunder, daß er überhaupt so lange gelebt hat, daß es schon einmal heilen konnte. Habt Ihr je einen so zerfetzten Mann lebendig gesehen?«
»Das geschieht manchmal«, erwiderte Cadfael, »wenn auch sehr selten. Ja, die Wunde wird sich wieder schließen. Und sie wird bei der geringsten Belastung wieder aufreißen.« Kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt, um Verschwiegenheit zu erbitten oder zu versprechen. Das Tuch, das Godfrid Marescot über sein Leid gehüllt hatte, war heilig und würde respektiert werden.
Fidelis stand im Bogen des Kreuzganges. Er beobachtete die herauskommenden Brüder und suchte immer unruhiger nach dem einen, der nicht kam.
Die Nachzügler aus dem Obstgarten waren eilig zurAbendandacht geströmt, und Fidelis hatte sich nicht nach Humilis umgesehen, da er ihn schon in der Kirche vermutete.
Doch nun suchte er ihn. Die geraden, kräftigen Brauen waren zusammengezogen, die schmalen Lippen besorgt gespannt.
Cadfael trat zu ihm, als die letzten Brüder vorbeigingen. Der junge Mann drehte sich um und sah ihnen ungläubig nach.
»Fidelis…« Der in die Kapuze gehüllte Kopf des jungen Mannes fuhr hoffnungsvoll und verstehend herum. Er erwartete keine guten Nachrichten, aber selbst schlechte waren besser als gar keine. Das sah man seinem Gesicht an. Er erlebte so etwas nicht zum erstenmal.
»Fidelis, Bruder Humilis liegt im Dormitorium in seinem Bett.
Keine Sorge, er ruht, und man hat sich um seine Pein gekümmert. Er hat nach Euch gefragt. Geht nur zu ihm.«
Der Junge blickte rasch von Cadfael zu Edmund und wieder zurück, unsicher, welcher die größere Autorität hatte, und machte sich zum Gehen bereit. Wenn er auch nicht mit der Zunge sprechen konnte, so waren seine Augen doch beredt genug, und Edmund verstand ihn.
»Es geht ihm gut, und er wird wieder gesund werden. Ihr mögt ihm dienen und kommen und gehen wie Ihr wollt; ich will dafür sorgen, daß Ihr von Euren übrigen Pflichten entbunden werdet, bis es ihm wieder gutgeht und er sich selbst überlassen werden kann. Ich werde mit Prior Robert sprechen. Holt ihm, bringt ihm, erbittet für ihn, was er braucht - wenn er einen Wunsch hat, dann schreibt ihn nieder, und er soll erfüllt werden.
Nur um seine Verbände wird Bruder Cadfael sich kümmern.«
Eine Frage blieb noch in den eifrigen Augen, oder besser ein Verlangen. Cadfael antwortete rasch, um ihn zu beruhigen.
»Niemand sonst war Zeuge. Und niemand sonst muß es erfahren außer dem Vater Abt, der das Recht hat zu wissen, was alle seine Söhne quält. Ihr mögt damit ebenso zufrieden sein wie Bruder Humilis selbst.«
Fidelis errötete und strahlte einen Augenblick. Dann neigte er den Kopf, machte eine kleine gehorsame und zustimmende Geste und verließ sie rasch und schweigend, um die Treppe hinaufzusteigen. Wie oft hatte er diesen stillen Dienst schon am Bett des Kranken allein und ohne Hilfe getan? Er hatte ihnen nicht gegrollt, weil sie dieses Mal vor ihm bei seinem Herrn gewesen waren, aber bedauert hatte er es gewiß, und am Anfang war er zudem ihrer Diskretion nicht sicher gewesen.
»Ich gehe vor der Komplet noch einmal zu ihm«, sagte Cadfael. »Ich will sehen, ob er schläft oder ob er noch einen Trank braucht. Und ob der Junge daran dachte, nicht nur für Humilis, sondern auch für sich selbst etwas zu Essen zu besorgen! Der Junge hat sich unten in Hyde allein um Bruder
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