Ein Ganz Besonderer Fall
Humilis gekümmert; ich frage mich, wo er die Heilkunst gelernt hat.« Es war offensichtlich, daß ihn die Verantwortung nicht verzagt machte, und anscheinend hatte er in seinen Bemühungen auch nicht versagt. Es war wahrlich eine Leistung, das Leben in diesem tapferen Wrack zu halten.
Wenn der Junge die Heilkunst studiert hatte, dann mochte er ein guter Helfer im Herbarium sein und würde gewiß gern mehr lernen. Das wäre eine Gemeinsamkeit, ein Schlupfloch in der Mauer seines Schweigens.
Bruder Fidelis besorgte und schleppte, fütterte, wusch und rasierte seinen Patienten, kümmerte sich um alle seine körperlichen Bedürfnisse und war es anscheinend zufrieden, Tag und Nacht zu dienen, hätte Humilis ihn nicht manchmal an die frische Luft geschickt oder ihm befohlen, in seiner eigenen Zelle auszuruhen oder an ihrer beider statt an den Gottesdiensten in der Kirche teilzunehmen; nach zwei Tagen langsamer Genesung bestand Humilis sehr nachdrücklich darauf, und der Jüngere gehorchte. Die aufgebrochene Wunde heilte, die Ränder waren nicht mehr feucht und schlaff, sondern zogen sich unter den Pflastern und den frisch gepreßten Kräutern allmählich zusammen. Fidelis beobachtete die langsame Besserung und war froh und dankbar und half ohne Abscheu, wenn die Verbände gewechselt werden mußten. Der verstümmelte Körper war ihm kein Geheimnis.
Ein vertrauter Diener der Familie? Ein leiblicher Sohn, wie Edmund spekuliert hatte? Oder einfach ein ergebener junger Ordensbruder, gebannt vom Charme und Edelmut eines Älteren, und dies um so mehr, da der Ältere starb? Cadfael konnte nicht anders als spekulieren. Junge Menschen konnten ungeheuer freigiebig sein und lange Jahre und Jugend für eine Liebe hingeben, ohne an einen Vorteil zu denken.
»Ihr denkt über ihn nach«, sagte Humilis aus seinen Kissen, als Cadfael früh am Morgen seine Verbände wechselte Fidelis war zu den anderen Brüdern zur Prim geschickt worden.
»Ja«, erwiderte Cadfael aufrichtig.
»Aber Ihr stellt keine Fragen. Auch ich habe nicht gefragt.
Meine Zukunft«, sagte Humilis nachdenklich, »ließ ich in Palästina zurück. Was von mir blieb, gab ich Gott, und ich glaube, das Opfer war nicht völlig wertlos. Mein Noviziat, das wegen meines Zustandes etwas verkürzt wurde, war kaum vorbei, als er nach Hyde kam. Ich habe guten Grund, Gott für ihn zu danken.«
»Es ist nicht leicht für einen stummen Mann«, grübelte Cadfael, »die Gelübde abzulegen und seine Berufung kundzutun. Hatte er einen Älteren, der für ihn sprach?«
»Er hatte sein Gesuch niedergeschrieben: Daß sein Vater alt sei und seine Söhne gern gut versorgt sähe, daß der ältere Bruder das Land bekommen habe, während er, der jüngere, sich fürs Kloster entschieden habe. Er brachte eine Spende mit, aber letztlich waren es seine geschickte Hand und seine Bildung, die ihn empfahlen. Ich weiß nicht mehr über ihn«, erklärte Humilis, »als das, was ich ohne Worte von ihm erfahren konnte, und das soll mir reichen. Für mich ist er der Sohn, den ich nie haben werde.«
»Ich habe mich über seine Stummheit gewundert«, sagte Cadfael, während er vorsichtig das Leinen über die frisch versorgte Wunde deckte. »Ist es möglich, daß sie aus einer bloßen Mißbildung in der Zunge entstanden ist? Denn er ist ja nicht taub, er weiß, daß andere Menschen sprechen. Er hat ein scharfes Gehör. Ich habe gewöhnlich festgestellt, daß Taubheit und Stummheit einhergehen, doch nicht bei ihm. Er lernt durch Hören, und er lernt sehr rasch. Er hat, wie Ihr schon sagtet, eine geschickte Hand. Wenn ich ihn bei meinen Kräutern hätte, könnte ich ihn alles lehren, was die Jahre mich gelehrt haben.«
»Ich stelle ihm keine Fragen, und er stellt mir keine Fragen«, erwiderte Humilis. »Gott weiß, daß ich ihn eigentlich fortschicken müßte, damit er sich einem besseren Dienst widmet, als mich zu pflegen und zu trösten. Er ist jung, er sollte die Sonne genießen. Doch ich bin zu feige, um es wirklich zu tun. Wenn er geht, würde ich ihn nicht halten, aber ich habe nicht den Mut, ihn fortzuschicken. Und solange er bleibt, will ich Gott für ihn danken.«
Der August nahm seinen schattenlosen Verlauf, keine Wolke zeigte sich am Himmel, und die Ernte füllte die Scheunen.
Bruder Rhun vermißte seinen neuen Gefährten in Garten und Hof, wo die Rosen täglich zu Mittag aufbrachen und gegen Abend unter der Hitze die Köpfe hängen ließen. Die Trauben an der Nordmauer des umfriedeten Gartens
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