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Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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vorsichtig zurückgezogen. Eine Hand wurde ausgestreckt und schwebte über dem selbstvergessenen Kopf, sehnte sich nach der Berührung und wagte es doch nicht, ehe sie durch das fortgesetzte Schweigen und die Stille ermutigt wurde. Angespannte Finger senkten sich auf den gelockten Haarkranz, der die Tonsur umgab. Die leichte Berührung ließ die Hand zittern, ähnlich dem ersten Zucken der Blitze in einem heraufziehenden Gewitter. Wenn Fidelis die Berührung gespürt hatte, dann gab er dies nicht zu erkennen. Selbst als die Finger liebevoll seine Haare zausten und seinen Nacken unter der Kapuze streichelten, regte er sich nicht, sondern blieb wie erstarrt auf den Knien hocken und hielt den Atem an.
    »Fidelis«, flüsterte eine rauhe und schmerzvolle Stimme nahe an seiner Schulter, »Bruder, du sollst in deinem Kummer nicht allein sein! Wende dich an mich… ich kann dich trösten, ich kann dir alles geben, alles, was du brauchst…«
    Die streichelnde Hand wanderte um den Hals, doch bevor sie seine Wange erreichte, kam Fidelis in einer fließenden Bewegung auf die Füße, entschlossen und ohne Angst, und trat zurück. Ohne besondere Eile, vielleicht, weil er nicht bereit war, selbst in diesem trüben Licht allzu schnell sein Gesicht zu zeigen, wandte er sich um und betrachtete den Bruder, der seine Einsamkeit gestört hatte. Denn ein Flüstern verrät nicht, wer der Sprecher ist, und bisher hatte er Bruder Urien kaum zur Kenntnis genommen. Nun aber sah er ihn, und er sah ihn mit großen, besorgten, grauen Augen. Ein dunkler, leidenschaftlicher, gutaussehender Mann, der sich nie hätte hinter diese Mauern verkriechen dürfen. Ein Mann, der brannte und andere mit seiner Glut verbrennen konnte, ehe er endlich abkühlte. Urien erwiderte Fidelis’ Blick, sein Gesicht war verzerrt, und seine ausgestreckte Hand wollte zitternd Fidelis’
    Ärmel fassen, der jedoch ablehnend zurückgezogen wurde, bevor sie zupacken konnte.
    »Ich habe dich beobachtet«, hauchte die rauhe, flüsternde Stimme. »Ich weiß, mit welcher Anmut du dich bewegst.
    Welche Verschwendung deiner Jugend und Schönheit… nein, geh nicht! Niemand sieht uns hier…«
    Fidelis wandte sich ab und verließ das Chorgestühl, um zur Nachttreppe zu gehen. Uriens nackte Füße folgten ihm lautlos über die Fliesen, und das gequälte Flüstern drang in Fidelis’
    Ohren.
    »Warum kehrst du meiner Zuneigung und Freundlichkeit den Rücken? Du wirst es gewiß nicht immer tun. Denk an mich! Ich werde warten…«
    Fidelis begann die Stufen hinaufzusteigen. Der Verfolger blieb am Fuß der Treppe stehen, zu sehr gequält von seiner Pein, um dorthin zu gehen, wo noch andere Männer wach liegen mochten. »Wie unfreundlich, unfreundlich…« klagte die dünne Stimme. Und dann, kaum noch hörbar, aber mit großer Bitterkeit: »Wenn nicht hier, dann an einem anderen Ort… wenn nicht jetzt, dann zu einer anderen Zeit!«

6. Kapitel
    Nicholas wechselte auf dem Weg nach Süden zweimal die Pferde. Die Tiere, die er scharf geritten hatte, wurden vorübergehend untergestellt, denn er glaubte, daß er sie sehr bald schon auf dem Rückweg wieder brauchen würde. Er wollte wie versprochen die Neuigkeiten zurückbringen, ob sie nun gut oder schlecht waren. Der Brandgestank, inzwischen alt und beißend, wehte ihm schon einige Meilen vor Wherwell entgegen, und als er die kleine Stadt betrat, fand er sie fast entvölkert und öde vor. Die wenigen Menschen, deren Häuser ohne Plünderung und fast ohne Schaden stehengeblieben waren, durchsuchten ihren Grund und retteten, was zu retten war, doch wer beim Brand sein Haus verloren hatte, hielt sich vorerst zurück, bevor er kam, um es wieder aufzubauen. Denn obwohl der Stoßtrupp aus Winchester entweder ums Leben gekommen oder gefangengenommen war und William von Ypern die Flamen der Königin auf die alten Positionen um die Stadt zurückgezogen hatte, lag dieser Ort immer noch im Belagerungsring und mochte neuen Gewaltakten ausgesetzt werden.
    Nicholas bahnte sich mit bangem, ängstlichem Herzen einen Weg zur Enklave des Nonnenklosters, einst eins der drei größten in der Grafschaft, bis die Katastrophe über die Gebäude gekommen war und die Hälfte zerstört und den Rest unbewohnbar gemacht hatte. Die Mauern der Kirche standen hager und geschwärzt vor dem wolkenlosen Himmel, die Wände waren gezackt und verfärbt wie verfaulte Zähne. Im Friedhof der Nonnen gab es frische Gräber. Die Überlebenden waren fort, denn hier gab es kein Heim

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