Ein Ganz Besonderer Fall
mehr für sie. Er betrachtete mit bangem Herzen die frisch aufgeworfene Erde und fragte sich, wessen Töchter darunter lagen. Man hatte keine Zeit gehabt, mehr zu tun, als sie zu begraben. Die Gräber trugen keine Namen.
Er wollte nicht daran denken, daß sie dort liegen konnte. Er suchte die Gemeindekirche und fand den Priester, der unter seinem Dach und in der Scheune zwei heimatlose Familien aufgenommen hatte. Ein ausgemergelter alternder Mann in einem schäbigen Gewand, das dringend geflickt werden mußte.
»Die Nonnen?« fragte er, indem er aus der niedrigen, dunklen Tür trat. »Die haben sich verstreut, die armen Seelen, wir wissen nicht wohin. Drei von ihnen starben in den Flammen.
Drei, von denen wir wissen, aber dort unter dem Schutt können noch mehr liegen. Im ganzen Hof wurde gekämpft, und die Flamen zerrten ihre Gefangenen aus der Kirche, aber keine Seite kümmerte sich um die Frauen. Angeblich sind einige nach Winchester geflohen, obwohl sie dort kaum in Sicherheit sein werden, aber der Herr Bischof muß versuchen, etwas für sie zu tun, denn ihr Haus war mit dem Alten Münster verbündet. Die anderen… ich weiß es nicht! Ich hörte, daß die Äbtissin auf ein Gut in der Nähe von Reading geflohen ist, wo sie Verwandte hat, und sie mag einige mit sich genommen haben. Aber hier herrscht Verwirrung - wer könnte es sagen?«
»Wo liegt dieses Gut?« fragte Nicholas hitzig, doch die Antwort bestand nur in einem müden Kopfschütteln.
»Das war alles, was ich hörte - ich weiß nicht, wo es ist.
Vielleicht ist es auch gar nicht wahr.«
»Und kennt Ihr, Vater, die Namen der Schwestern, die den Tod fanden?« Er zitterte, als er diese Frage stellte.
»Mein Sohn«, erwiderte der Priester mit unendlicher Resignation, »was wir fanden, konnte keinen Namen mehr tragen. Und wir müssen noch nach anderen suchen, wenn wir genug zum Essen gefunden haben, um die Überlebenden bei Kräften zu halten. Die Männer der Kaiserin plünderten als erste unsere Häuser, dann kamen die Flamen. Wer hier noch etwas hat, muß mit denen teilen, die nichts mehr haben. Und keiner von uns hat viel übrig, bei Gott!«
Auch er hatte kaum materielle Güter übrig, nur müdes, aber unerschütterliches Mitgefühl. Nicholas hatte Brot und Fleisch in der Satteltasche, als Vorrat gekauft beim letzten Pferdewechsel auf der Straße. Er nahm die Speisen heraus und gab sie dem alten Mann in die Hände; ein winziger Tropfen in einem hungrigen Ozean, aber das Geld in seiner Börse konnte hier, wo es nichts gab, nichts kaufen. Sie mußten das Umland heimsuchen, um die Leute hier zu speisen. Er überließ sie ihren beharrlichen Mühen und ritt langsam durch die Trümmer Wherwells, fragte hier und dort nach, ob jemand ihm Genaueres zu sagen vermochte. Alle wußten, daß sich die Schwestern verstreut hatten, doch niemand konnte sagen wohin. Und der Name einer einzelnen Frau sagte ihnen nichts, zumal Julian die Gelübde vielleicht nicht einmal unter ihrem weltlichen Namen abgelegt hatte. Dennoch fragte er überall nach und beschrieb allen die unersetzliche Schönheit Julian Cruces, die sie von allen anderen Frauen unterschieden haben mußte.
Von Wherwell aus ritt er nach Winchester. Als Soldat der Königin konnte er ohne Schwierigkeiten den Fesselungsring durchdringen, und in der Stadt wurde klar, daß die Partei der Kaiserin sehr bedrängt war und sich nicht weit aus der engen Festung auf der Burg herauswagte. Aber die Nonnen von Winchester, einst selbst in Gefahr, die jetzt freier atmen durften, konnten ihm nichts über Julian Cruce sagen. Sie hatten einige Schwestern aus Wherwell aufgenommen und versorgt, aber Julian war nicht unter ihnen gewesen. Nicholas sprach mit einer älteren Schwester, die freundlich und hilfsbereit war, doch sie konnte ihm nicht helfen.
»Herr, ich kenne diesen Namen nicht. Aber bedenkt, daß ich ihn auch nicht kennen kann, da diese Dame wahrscheinlich einen ganz anderen Namen annahm, als sie ihre Gelübde ablegte. Wir fragen unsere Schwestern nicht, woher sie kommen oder wer sie waren, solange sie es uns nicht aus freien Stücken sagen. Und ich bekleide kein Amt, in dem mir solches Wissen einfach zugetragen würde. Unsere Äbtissin könnte Euch sicher eine Antwort geben, doch wir wissen nicht, wo sie ist. Ebenso unsere Priorin. Wir sind genauso ratlos wie Ihr. Aber Gott wird uns finden und uns wieder zusammenbringen. Und ebenso wird er die finden, die Ihr sucht.«
Sie war eine kluge, bewegliche, verwitterte
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