Ein Ganz Besonderer Fall
Gesicht zum andern, ein kurzer, flackernder, aber scharfer Blick, der berührte und sich sofort wieder löste, eine blitzschnelle Einschätzung der Dinge, die da kommen mochten. Bruder Cadfael gehörte eindeutig hierher und stellte keine Bedrohung dar. Der Kranke im Bett war durch Erzählungen bekannt, aber der dritte Bruder, der reglos am Bett stand und dessen Augen tief im Schatten der Kapuze blitzten, war nicht so einfach einzuschätzen. Adam Heriet warf den letzten und längsten Blick zu Fidelis, bevor er die Augen niederschlug und sein Gesicht verschloß wie ein zugeklapptes Buch.
»Bruder Edmund erlaubte uns, hereinzukommen«, erklärte Hugh, »aber wenn wir Euch ermüden, dann werft uns hinaus.
Es tut mir leid zu hören, daß Ihr nicht wohlauf seid.«
»Es wird mir die beste Medizin sein«, erwiderte Humilis, »wenn Ihr gute Nachrichten für mich habt. Bruder Cadfael wird keine Einwände erheben, wenn ein anderer Arzt etwas zu sagen hat. Ich bin nicht sehr krank, es war nur eine Schwäche - die Hitze ist so drückend.« Seine Stimme klang etwas unsicherer als sonst, die Worte kamen langsamer, aber er atmete ruhig, und die Augen waren gefaßt und klar. »Wer ist der Mann, den Ihr da mitbringt?«
»Bevor er aufbrach«, erklärte Hugh, »hat Nicholas Euch sicher erzählt, daß wir bereits drei der vier befragt haben, die Frau Julian eskortierten, als sie nach Wherwell ging. Dies hier ist der vierte - Adam Heriet, der den letzten Teil des Weges mit ihr allein ging, während die Gefährten in Andover auf seine Rückkehr warteten.«
Bruder Humilis richtete sich auf, um den Besucher näher in Augenschein zu nehmen, und Bruder Fidelis kniete sofort nieder und legte einen Arm hinter das stützende Kissen seines Herrn. Er verbarg den Kopf im Schatten hinter Humilis’ magerer Schulter.
»So ist das? Dann kennen wir jetzt alle, die sie damals beschützten. Ihr also«, sagte Humilis, während er den kräftigen Mann betrachtete, sein breites Gesicht mit den dicken Augenbrauen und die wie bei einem wütenden Stier vorgereckte Stirn, »Ihr also seid der Mann, der sie seit ihrer Kindheit geliebt hat.«
»So ist es«, erwiderte Adam Heriet fest.
»Sagt ihm«, forderte Hugh ihn auf, »wie und wann Ihr Euch von der Dame verabschiedet habt. Sprecht nur, und laßt Euch Zeit.«
Heriet atmete tief ein, doch ohne Anzeichen von Furcht oder Wachsamkeit. Er erzählte die Geschichte, die er schon Hugh in Brigge erzählt hatte. »Sie bat mich zu gehen und sie allein zu lassen. Das tat ich. Sie war meine Herrin und konnte mir befehlen, was sie wollte. Ich tat, was sie mir befahl.«
»Und dann kehrtet Ihr nach Andover zurück?« fragte Hugh freundlich.
»Ja, Herr.«
»Aber wohl kaum in großer Eile«, sagte Hugh mit täuschender Freundlichkeit. »Von Andover bis Wherwell sind es nur einige Meilen, und Ihr sagt, sie hätte Euch eine Meile vor Wherwell entlassen. Und doch seid Ihr erst in der Abenddämmerung, viele Stunden später, nach Andover zurückgekehrt. Wo wart Ihr in der Zwischenzeit?«
Der eisige Schreck, der Adam durchfuhr, war nicht zu verkennen. Er hielt einen Moment den Atem an. Er verlor die Kontrolle und warf Hugh einen wilden Blick zu, dann senkte er die Augen wieder. Er mußte einen Augenblick mit sich ringen, um Stimme und Gedanken in die Gewalt zu bekommen, doch es gelang ihm mit heldenhafter Geschwindigkeit, und das Zögern schien zu kurz für die Erfindung eines komplizierten Lügengewebes.
»Mein Herr, ich war noch nie so weit im Süden gewesen und glaubte damals, daß ich nie wieder hinkommen würde. Sie hatte mich entlassen, und die Stadt Winchester war ganz in der Nähe. Ich hatte schon von der Stadt gehört, aber ich hätte nie geglaubt, daß ich sie einmal sehen würde. Ich weiß, daß ich nicht das Recht hatte, mich zu entfernen, aber ich tat es trotzdem. Ich ritt in die Stadt und blieb den ganzen Tag dort.
Damals war noch Frieden, und man konnte herumspazieren, die große Kirche ansehen, in einer Schenke essen, alles, ohne Angst zu haben. Und genau das tat ich und kehrte erst spät am Abend nach Andover zurück. Wenn sie es Euch so berichtet haben, dann sprechen sie die Wahrheit. Wir haben uns erst am nächsten Morgen auf den Heimweg gemacht.«
Humilis, der die Stadt Winchester wie seine Westentasche kannte, übernahm mit trockener, ruhiger Stimme die Befragung, während er den Verdächtigen mit wachen Augen beobachtete.
»Wer könnte Euch vorwerfen, daß Ihr Euch ein paar Stunden freigenommen
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