Ein Ganz Besonderer Fall
Gewichtes fortzumassieren, und sie sahen die dunklen, geraden Augenbrauen und die brennenden Augen von Bruder Urien. In ungewöhnlicher Zufriedenheit mit sich selbst und den Wänden und Menschen um ihn zeigte er ein leichtes, gespanntes Lächeln, das zwar seine Lippen bewegte, aber nicht den Brand in seinen Augen löschen konnte. Er sah ihnen nach, als wäre ein Schatten vorbeigegangen, und trat auf die andere Seite, sobald sie fort waren, um einen Stapel gewaschener Leinentücher in die Presse zu legen, die dort im Gang stand.
Gewöhnlich blieben im Krankenquartier alle Türen offen, damit ein Hilferuf sofort die aufmerksamen Ohren erreichte und die Hilfe rasch kam. Menschliche Rufe, der Gesang bei den Gottesdiensten, sogar die Stimmen der Vögel erfüllten den Raum. Nur wenn Unwetter oder starker Regen drohten oder in winterlicher Kälte wurden die Türen geschlossen und die Läden zugezogen. Nie aber um diese Jahreszeit, in der Hitze des Sommers.
»Der Mann lügt«, sagte Hugh, als er mit Cadfael den großen Hof überquerte. Er dachte besorgt an das Netz aus Wahrheit und Täuschung. »Aber zur Hälfte sagte er auch die Wahrheit; die Frage ist nur, welche Hälfte gelogen ist? Sagt mir das.«
»Wenn ich das könnte«, erwiderte Cadfael freundlich, »dann wäre ich kein Sterblicher.«
»Er genoß ihr Vertrauen, er wußte, was sie bei sich hatte, er ritt die letzten Meilen allein mit ihr, und seitdem fehlt von ihr jede Spur«, zählte Hugh zornig die Beweise auf. »Und doch wollte er auf dem Weg hierher immer wieder von mir wissen, ob sie lebte oder tot sei, und ich hätte schwören können, daß die Frage ehrlich gemeint war. Aber nun seht ihn an! Mitten im Verhör steht er plötzlich reglos da wie ein Fels, protestiert nicht gegen seine Gefangennahme und zeigt auch keine weitere Sorge um ihr Schicksal. Was soll man davon halten?«
»Er ist so unverständlich wie die ganze Angelegenheit«, stimmte Cadfael bedrückt zu. »Ich bin Eurer Meinung, er hat bestimmt gelogen. Wer weiß, was er noch nicht verraten hat.
Aber wenn er alles an sich genommen hat, was sie bei sich trug, was hat er dann damit gemacht? Es waren vielleicht keine Reichtümer, aber auf jeden Fall besser als der niedrige Sold, die Gefahr und der Schweiß eines Soldatenlebens, und trotzdem ist er immer noch ein einfacher Soldat und nichts mehr.«
»Soldat mag er sein«, erwiderte Hugh trocken, »aber einfach ist er nicht. Seine Wendigkeit hat mich verblüfft. Er kennt Winchester gut - nun, wo immer er in den letzten drei Jahren diente, in diesem Winter wurden alle Trappen in Winchester zusammengezogen. Wie sollte er die Stadt da nicht kennen?
Und doch, ich hätte schwören können, daß er zuerst nicht wußte und wirklich wissen wollte, was aus dem Mädchen geworden ist. Entweder das, oder er ist der gerissenste Schauspieler, der je sein Gesicht zu einer Täuschung verzogen hat.«
»Er schien sich nicht sehr unwohl zu fühlen«, sagte Cadfael nachdenklich, »als Ihr ihn hereinbrachtet. Besorgt, ja, und er wählte seine Worte mit Bedacht - und das verleiht ihnen um so mehr Bedeutung.« Seine Miene hellte sich auf. »Ich werde noch einmal darüber nachdenken. Aber furchtsam oder ängstlich, nein, das würde ich nicht sagen.«
Sie hatten das Torhaus erreicht, wo der Bursche schon mit Hughs Pferd wartete. Hugh nahm die Zügel und setzte den Fuß in den Steigbügel, hielt aber noch einmal inne und blickte über die Schulter seinen Freund an.
»Ich will Euch etwas sagen, Cadfael. Die einzige zuverlässige Möglichkeit, diesen Knoten zu entwirren, wäre es, wenn irgendwo das Mädchen gesund und munter auftaucht.
Dann könnten wir alle beruhigt sein. Aber Ihr habt dieses Jahr schon Euren Anteil an Wundern bekommen, und nicht einmal Ihr werdet wagen, um ein weiteres zu bitten.«
»Trotzdem«, sagte Cadfael, der mißmutig den unordentlichen Haufen von Bruchstücken betrachtete, die einfach nicht zusammenpassen wollten, »da blinkt etwas in meinem Augenwinkel, und jedesmal, wenn ich direkt hinsehe, ist es wieder weg. Ein Irrlicht - nicht einmal ein Funke…«
»Laßt ihn in Ruhe«, sagte Hugh, indem er sein Pferd zum Tor herumdrehte. »Blast nicht darauf, weil er sonst ganz erlöschen könnte. Aber wenn Ihr in die andere Richtung blast, wer weiß?
Vielleicht wird dann eine Kerzenflamme daraus, die Motten anlockt, damit sie sich die Flügel verbrennen.«
Bruder Urien ließ sich mit dem Wäschestapeln im Krankenquartier viel Zeit. Er hatte Fidelis
Weitere Kostenlose Bücher