Ein Ganz Besonderer Fall
er ist der einzige, der weiß, was mit ihr geschehen ist, und wenn er es weiß, spricht er besser mit Euch, aber unter vier Augen. Ohne weitere Zeugen. Glaubt Ihr, Ihr könnt ihn zum Sprechen bringen, wenn Ihr ihm zu verstehen gebt, daß alles Gesagte unter Euch beiden bleibt?«
»Nein«, erwiderte Hugh sofort. »Welchen Grund hätte er, mir zu glauben, wenn er drei Jahre überlebte, ohne sich einem anderen anzuvertrauen? Er hält den Mund, auch wenn es ihm schadet. Nein, ich glaube, ich kenne ihn gut genug. Er wird weiter schweigen wie ein Grab.«
Wirklich, dachte Cadfael, es gibt Geheimnisse, die niemals aufgedeckt werden sollten, Dinge und sogar Menschen, die zu ihrem eigenen und zu unser aller Besten unwiederbringlich verloren bleiben sollten.
Er verabschiedete sich und ging durch die Stadt zum Fluß hinunter. An der Westbrücke, die nach Wales hinausführte, fand er Madog mit dem Totenboot in seinem kleinen Verschlag.
Er versah den Rand eines neuen Bootes mit verflochtenen Haselnußzweigen, die er im Flachwasser unter der Brücke geschält und eingeweicht hatte. Er war ein gedrungener, vierschrötiger und krummbeiniger Waliser von unbekanntem Alter, der anscheinend für die Ewigkeit gebaut war, denn niemand konnte sich erinnern, daß er einmal jünger ausgesehen hatte, und im Lauf der Jahre schien er nicht zu altern. Er schielte unter seinen dichten, vorspringenden Brauen, die grau geworden waren, während das Haar seine schwarze Farbe behalten hatte, zu Cadfael herauf und grüßte ihn gemütlich, während seine flinken braunen Finger geübt die Zweige flochten. »Nun, alter Freund, Ihr seid mir diesen Sommer fast ein Fremder geworden. Was ist geschehen, daß Ihr mich hier aufsucht - denn ich nehme doch an, daß Ihr nicht zufällig auf diese Seite der Stadt kommt? Setzt Euch und ruht eine Weile aus.«
Cadfael setzte sich neben ihn ins gebleichte Gras und betrachtete das flache Wasser des Severn mit nachdenklichen Blicken.
»Wirklich, ich komme nur zu Euch, wenn ich Euch brauche.
Nun, wir hatten ein geschäftiges Jahr, und es gab viel zu tun.
Wie kommt Ihr bei dieser Trockenheit mit dem Wasser zurecht?
Es muß doch stromauf viele trügerische Untiefen geben, nachdem es so lange nicht geregnet hat.«
»Keine, von der ich wüßte«, erklärte Madog gelassen. »Man kann zwar kaum noch fischen, und ich würde sagen, daß Ihr mit einer beladenen Barke höchstens bis Pool hinaufkommt, aber ich komme immer noch überall hin, wo ich hinwill. Warum? Habt Ihr Arbeit für mich? Ich könnte einen Tageslohn gut gebrauchen, er käme mir gelegen.«
»Den sollt Ihr Euch verdienen, wenn Ihr Euch selbst und zwei andere bis Salton hinaufbekommt. Beide sind Leichtgewichte, der eine nur Haut und Knochen und der andere jung und schlank.«
Madog hob interessiert den Kopf von seiner Arbeit und fragte schlicht: »Wann?«
»Morgen, wenn nichts dazwischenkommt.«
»Zu Pferd wäre der Weg viel kürzer«, bemerkte Madog, während er seinen Freund mit erwachter Neugierde musterte.
»Für einen der beiden ist es viel zu spät, um zu reiten. Er ist ein sterbender Mann und will noch einmal den Ort sehen, an dem er geboren wurde.«
»Salton?« Kluge dunkle Augen blinzelten unter den dichten silbernen Brauen. »Dann muß es ein Marisco sein. Wir hörten, daß Ihr den letzten dieses Namens in Euer Haus aufgenommen habt.«
»Marescot heißt er jetzt. Godfrid meint, er sollte besser ›von der Marsch‹ heißen, da seine Ahnen Sachsen waren. Ja, er ist es. Er hat nicht mehr viel Zeit. Er will den Kreis von der Geburt bis zum Tod schließen, ehe er geht.«
»Erzählt«, sagte Madog einfach. Er hörte mit ruhiger, gelassener Aufmerksamkeit zu, während Cadfael ihm über die Fracht erzählte und ihm erklärte, was von ihm verlangt wurde.
»Nun«, sagte er, als alles berichtet war, »ich will Euch sagen, was ich glaube. Dieses Wetter wird sich nicht mehr lange halten; vielleicht schleppt es sich noch eine Woche hin. Wenn Euer Mitbruder auf diese Reise so versessen ist, wie Ihr sagt, und bereit, sich auf alles einzulassen, was kommt, dann will ich morgen nach der Prim mein Boot zum Mühlteich bringen. Ich werde etwas an Bord nehmen, um ihn zu schützen, wenn der Regen beginnt. Ich habe ein Wachstuch, mit dem ich sonst meine Fracht bedecke. Es wird ebenso gut einen Ritter oder einen Benediktinerbruder schützen.«
»Ein solches Wachstuch«, erwiderte Bruder Cadfael nüchtern, »mit dem schon Tote bedeckt wurden, scheint für Bruder
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