Ein Ganz Besonderer Fall
Fidelis, die ganze Zeit für ihn verantwortlich zu sein?«
»Es ist das Schwinden seiner Kraft, das ihn so drängen läßt«, erwiderte Cadfael. »Wenn ihm sein Wunsch überhaupt gewährt werden soll, dann muß es sehr bald geschehen. Und er sagt mit Recht, daß die Anstrengung für seine verbleibenden Tage keinen großen Unterschied bedeutet, denn der letzte kann morgen sein oder erst in einer Woche. Doch für seinen Seelenfrieden kann der Unterschied bedeutend sein. Und was Bruder Fidelis angeht, so hat er keine Last gescheut, die ihm aus Liebe auferlegt wurde, und er wird es auch jetzt nicht tun.
Wenn Madog sie fährt, dann sind sie in besten Händen. Keiner kennt den Fluß wie er. Man kann ihm völlig vertrauen.«
»Ich nehme Euch beim Wort«, sagte Radulfus ruhig. »Aber es ist für einen so hinfälligen Mann ein verzweifeltes Unternehmen. Es ist sein Herzenswunsch, und er hat jedes Recht auf dessen Erfüllung. Aber wie wollt Ihr ihn ins Boot bekommen? Und wird er in Salton willkommen sein? Wird es willige Diener geben, die für ihn sorgen?«
»Salton gehört zu den Gütern, die er einem Vetter übergeben hat, den er kaum kennt, Vater, aber Pächter und Diener werden sich an ihn erinnern. Wir können aus Seilen einen Tragesitz für ihn bauen und ihn zur Mühle hinuntertragen. Das Krankenquartier liegt nahe an der Mauer, und bis zur Mühle ist es nicht weit.«
»Nun gut«, sagte der Abt. »Dann soll es bald geschehen.
Wenn Ihr wißt, wo dieser Madog zu finden ist, dann gebe ich Euch die Erlaubnis, ihn heute aufzusuchen und zu fragen, ob er bereit ist, morgen auf die Reise zu gehen.«
Cadfael dankte ihm und verabschiedete sich, recht zufrieden mit seinem Erfolg. Wenn es nicht gerade um Leben oder Tod ging, entfernte er sich nicht mehr so leichtfertig wie früher ohne Erlaubnis, doch er hatte keine Schwierigkeiten, höchst offiziell zu gehen, wenn er die Erlaubnis hatte. Die Aussicht auf ein Mahl mit Hugh und Aline in der Stadt anstelle der schweigsamen Strenge des Refektoriums, dann eine gemütliche Suche am Flußufer nach Madog, Fragen nach seinem Aufenthaltsort und ein kameradschaftliches Geplauder, wenn er gefunden war, das waren die Zutaten eines kleinen Feiertages. Aber er sah noch einmal nach Humilis, bevor er die Enklave verließ, um ihm zu berichten, daß er Erfolg gehabt hatte. Fidelis wachte wieder treu an seinem Bett, in sich gekehrt und unaufdringlich wie immer.
»Abt Radulfus gewährte Euch Euren Wunsch«, sagte Cadfael, »und gab mir die Erlaubnis, noch heute Madog für Euch zu suchen. Wenn er einverstanden ist, könnt Ihr morgen nach Salton fahren.«
Hinter Hughs Haus an der St. Marys Church gab es einen kleinen eingefriedeten Kräutergarten mit grasbewachsenen Bänken am Rand und Obstbäumen, die Schatten spendeten.
Aline Beringar saß auf dem kurzgeschorenen Sitz, der dicht mit duftenden Kräutern bewachsen war. Ihr Sohn spielte neben ihr.
Giles, der erst zu Weihnachten zwei Jahre alt werden würde, stand schon groß und sicher auf stämmigen Beinen. Er war nach einem größeren Maßstab gemacht als sein dunkler, schlanker Vater oder die zierliche, helle Mutter. Seine gesunde Farbe lag irgendwo zwischen den beiden, er hatte hellbronzenes Haar und runde braune Augen und einen stählernen Willen, den er wahrscheinlich von beiden geerbt hatte und der noch gezähmt werden mußte. An diesem heißen Sommertag trug er keine Kleidung und war vom Kopf bis zu den Zehen haselnußbraun.
Er hatte zwei aus Holz geschnitzte Ritter, bunt bemalt und mit Fäden im Bauch verbunden. Die Füße waren mit kleinen Bleiklumpen beschwert, die Beine und Schwertarme hatten Gelenke, so daß sie die Waffen hoben und tanzten und sehr blutrünstig aufeinander losgingen, wenn man an den Schnüren zog. Constance, seine unermüdliche Dienerin, hatte ihn verlassen, um die Vorbereitung des Essens zu übernehmen, und der kleine Giles verlangte lautstark, daß sein Pate den verlassenen Platz einnehme. Cadfael kniete auf den Rasen nieder, wobei er leise über seine krachenden Gelenke klagte, und zog kräftig an den Schnüren. Er war seit Giles’ Geburt gut geübt. Er mußte vorsichtig sein, um seinem Gegner keinen allzu offensichtlichen Vorteil zu gewähren, denn sonst bekäme er einen ritterlichen Aufschrei zu hören. Der Erbe und ganze Stolz der Beringars bemerkte es sofort, wenn man ihm zu weit entgegenkam und lehnte es aus vollem Herzen ab, überzeugt, daß er jedem Manne ebenbürtig war. Allerdings zeigte er auch
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