Ein ganz besonderer Sommer
darauf.“ Bille sprang schwungvoll in den Sattel. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie hungrig sie war. Das Mittagessen hatte nur aus etwas Obst und ein paar Keksen bestanden.
„Da kannst du dich auch drauf freuen. Meine Tante ist eine berühmte Köchin, sie hat früher in Warschau in den besten Restaurants gearbeitet.“
Agnieszka hatte nicht übertrieben. Das Abendessen war vorzüglich. Nach einer Suppe aus heimischen Pilzen wurde der im Ofen mit Speck und Sahne geschmorte Fisch aufgetragen, umgeben von einem Kranz goldgelb gebackener Kartoffeln und mit einem Gurkensalat in Dillsoße, dessen Zutaten alle aus dem heimischen Garten stammten. Und zum Nachtisch gab es selbst gemachtes Eis mit Blaubeeren. Bille schlemmte, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte.
„Und weißt du, was das Tollste ist?“, flüsterte Mutsch. „Es schmeckt genauso wie früher bei uns zu Hause, als ich noch ein Kind war!“
Nach dem Essen kam die Urheberin der servierten Köstlichkeiten, Tante Elzbièta , mit einem teils scheuen, teils erwartungsvollen Gesicht zu ihnen an den Tisch. Noch ehe sie eine Frage stellen konnte, sprudelten Bille und ihre Mutter ihre Begeisterung heraus und lobten die Kochkunst der alten Dame in den höchsten Tönen. Dann baten sie sie, sich zu ihnen zu setzen und luden sie zu einem Glas Wein ein.
Nicht lange, da saßen auch Agnieszka, ihr Bruder Tomek und ihre Eltern bei ihnen am Tisch. Beim Wein wurde man schnell vertraut miteinander, und es entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch. Die anderen Gäste, zwei ältere Ehepaare, hatten sich bald zurückgezogen, so hatten sie den Gastraum für sich.
Agnieszkas Vater bestätigte Billes Vermutung: Das Hotel war erst vor wenigen Monaten in Betrieb genommen worden. Er hatte sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt und viele Jahre dafür gespart. Sein Großvater war einst Kutscher auf einem der großen Güter gewesen, das hatte wohl die starke Liebe zu Pferden in ihm geweckt. Bille gefiel dieser ruhige, ein wenig bedächtige Mann mit dem schon faltigen, erschöpften Gesicht, in dem nur die hellgrauen Augen vor Heiterkeit, Warmherzigkeit und Optimismus zu sprühen schienen. Den größten Teil des Geldes, das sie für den Ausbau des Hauses als Hotel benötigt hatten, hatte er mit Arbeitsaufträgen in Deutschland verdient. Er war ein erfahrener Fachmann für historische Bauweisen, und es war spannend, ihm zuzuhören, wenn er von seiner Arbeit sprach. Agnieszkas Mutter hatte viele Jahre als Lehrerin im Gymnasium gearbeitet, aber das Gehalt, das man in Polen im Schuldienst bekam, reichte kaum zum Überleben. So hatte sie sich nebenbei etwas Geld als Stadtführerin für deutsche und französische Reisegruppen verdient. Das waren die zwei Sprachen, die sie in der Schule unterrichtete und fließend sprach.
Am Ende des Abends waren sie Freunde geworden und nannten sich beim Vornamen. Agnieszkas Mutter hieß Janina, das ließ sich leicht aussprechen. Auch bei Elzbièta gab es keine Probleme. Schwieriger war es da schon mit dem Namen des Vaters: Kazimiersz , die polnische Form von Kasimir. So durften sie ihn dann auch nennen. Trotzdem übte Bille fleißig polnische Vokabeln; angestachelt durch das gute Deutsch, das Agnieszka und ihre Eltern sprachen. Doch es fiel ihr nicht leicht. Mutsch hatte wohl Recht damit, wenn sie sagte, dass die slawischen Völker eine ganz besondere Begabung für Fremdsprachen besaßen.
Es wurden wunderbare Ferientage für Bille. Frühmorgens schlich sie sich an ihrer schlafenden Mutter vorbei hinaus in den Stall, um Agnieszka und Tomek bei der Stallarbeit zu helfen. Dann radelten sie zusammen hinunter zum See und schwammen hinaus, ehe die Geschwister wieder an die Arbeit gehen mussten. Tomek als Hausdiener und Agnieszka als Bedienung beim Frühstück und später als Zimmermädchen. Das w T ar im Moment nicht viel Arbeit, da so wenig Gäste im Haus waren. Nur ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern war inzwischen noch eingetroffen. Da Bille Agnieszka bei allem half, hatte ihre neue Freundin viel Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Sie bewegten die Pferde, teils auf dem Reitplatz, teils auf Ausritten, machten mit Billes Mutter eine Kutschfahrt in die Umgebung, und schließlich schlug Bille vor, den beiden kleinen Feriengästen Reitunterricht auf den Ponys zu geben. Agnieszka sollte dabei die Rolle des Dolmetschers übernehmen.
Wenn die Zeit ausreichte, ließ sich Agnieszka selbst Unterricht von Bille geben. Dann ritt sie „Chopin“, einen
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