Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
Vom Netzwerk:
ersten dicken Pony über den Rasen ritt.
    Zwei Männer in Warnwesten dirigierten die Autos auf ein Feld zwischen dem Haus und der Kirche. Ich ließ das Fenster herunter. «Gibt es bei der Kirche einen Parkplatz?»
    «Der Gästeparkplatz ist hier entlang, Madam.»
    «Wir haben einen Rollstuhl, der auf dem Feld einsinken wird», sagte ich. «Wir müssen direkt neben der Kirche parken. Ich fahre jetzt einfach hin.»
    Die beiden Männer sahen sich an und murmelten etwas. Bevor sie noch etwas zu mir sagen konnten, fuhr ich weiter und parkte auf dem kleinen Platz neben der Kirche. Jetzt geht’s los , sagte ich zu mir selbst und begegnete im Rückspiegel Wills Blick, als ich den Motor abstellte.
    «Beruhige dich, Clark. Alles wird gutgehen», sagte er.
    «Ich bin doch total entspannt. Warum sollte ich es nicht sein?»
    «Du bist wirklich absurd leicht zu durchschauen. Außerdem hast du dir während der Fahrt vier Fingernägel abgekaut.»
    Ich stieg aus, zog meine Stola zurecht und drückte auf die Taste, damit die Rampe herunterfuhr. «Okay», sagte ich, als der Rollstuhl auf dem Asphalt stand. Jenseits der Straße, auf dem Feld, stiegen die Leute aus riesigen Autos, und Frauen in teuren Kleidern murrten ihre Männer an, weil ihre Absätze in den weichen Boden einsanken. Sie waren allesamt lang und dürr und in blasse, gedämpfte Farben gekleidet. Ich strich mir nervös übers Haar und überlegte, ob ich zu viel Lippenstift aufgelegt hatte. Vermutlich sah ich aus wie eine von diesen Plastiktomaten, aus denen man oben den Ketchup herausdrückt.
    «Also … was haben wir heute genau vor?»
    Will folgte meinem Blick. «Im Ernst?»
    «Ja. Ich muss das wissen. Und bitte sag nicht, du lässt mich einfach ins kalte Wasser springen. Hast du irgendeinen teuflischen Plan?»
    Will sah mich an. Mit seinen unergründlichen blauen Augen. In meinem Magen flog eine Wolke Schmetterlinge auf.
    «Wir werden uns unglaublich gut benehmen, Clark.»
    Die Schmetterlinge begannen wild mit den Flügeln zu schlagen, als wären meine Rippen die Gitterstäbe eines Gefängnisses, aus dem sie ausbrechen wollten. Ich setzte an, um etwas zu sagen, doch er unterbrach mich.
    «Also, wir sorgen einfach mit allen Mitteln dafür, möglichst viel Spaß zu haben», sagte er.
    Spaß. Als würde man als Gast bei der Hochzeit seiner Ex-Freundin nicht mindestens genauso leiden wie bei einer Wurzelbehandlung. Aber es war Wills Entscheidung gewesen. Wills Tag. Ich atmete tief ein und versuchte, mich zusammenzureißen.
    «Eine Ausnahme», sagte ich und zog zum vierzehnten Mal an meiner Stola herum.
    «Was?»
    «Du sparst dir deine Christy-Brown-Imitation. Wenn du den Christy Brown gibst, fahre ich nach Hause und lasse dich hier mit all diesen Eierköpfen sitzen.»
    Als Will seinen Stuhl zur Kirche umdrehte, glaubte ich ihn murmeln zu hören: «Spielverderberin.»
    Wir überstanden die Zeremonie ohne Zwischenfälle. Alicia sah genauso abartig schön aus, wie ich es schon vorher gewusst hatte, ihre glatte Haut schimmerte karamellbraun, das schräg geschnittene Seidenkleid in gebrochenem Weiß umspielte ihre schlanke Gestalt, als befürchtete es, ohne Erlaubnis nicht ihren Körper berühren zu dürfen. Ich starrte sie an, als sie den Mittelgang herunterschwebte, und fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, wenn man groß und langbeinig war und aussah wie etwas, das die meisten von uns nur auf Airbrush-Postern zu sehen bekamen. Ich fragte mich, ob sich ein Profiteam um ihr Haar und ihr Make-up gekümmert hatte. Ich fragte mich, ob sie Shapewear-Unterwäsche trug. Natürlich nicht. Sie trug bestimmt irgendeinen Hauch aus Spitze – Unterwäsche für Frauen, an denen weder etwas versteckt noch unterstützt werden musste, und die mehr kostete, als ich in der Woche verdiente.
    Während der Pfarrer redete und die kleinen Brautjungfern mit den Ballerinaschühchen in ihrer Bank herumrutschten, ließ ich meinen Blick über die anderen Gäste schweifen. Es war kaum eine Frau darunter, die nicht so aussah, als könnte sie jederzeit in einem Hochglanzmagazin auftauchen. Ihre Schuhe, deren Farben ganz genau auf ihre übrige Kleidung abgestimmt waren, sahen aus, als wären sie noch nie getragen worden. Die jüngeren Frauen hatten elegante Zehn- oder Zwölf-Zentimeter-Absätze und perfekt gepflegte Zehennägel. Die älteren Frauen mit niedrigeren Pfennigabsätzen trugen Kostüme mit Schulterpolstern, seidenen Jackenfuttern in Kontrastfarben und Hüte, die dem Gesetz der Schwerkraft

Weitere Kostenlose Bücher