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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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widersprachen.
    Die Männer waren weniger interessant anzusehen, aber alle hatten eine Art an sich, die ich manchmal auch bei Will feststellte – die Art der Reichen und Anspruchsvollen, die wissen, dass es das Leben gut mit ihnen meint. Ich fragte mich, welche Firmen sie wohl führten, in welchen Welten sie lebten. Ich fragte mich, ob sie Menschen wie mich überhaupt wahrnahmen, Menschen, die ihre Kinder betreuten oder sie im Restaurant bedienten. Oder für ihre Geschäftsfreunde Poledance machen , dachte ich, weil mir wieder mein Gespräch im Jobcenter einfiel.
    Bei den Hochzeiten, zu denen ich normalerweise ging, mussten die Familien der Braut und des Bräutigams getrennt sitzen, weil die Gefahr zu groß war, dass sonst jemand gegen Bewährungsauflagen verstieß.
    Will und ich saßen hinten in der Kirche, sein Stuhl rechts von mir am Ende der Bank. Er sah Alicia kurz an, als sie den Mittelgang herunterkam, doch abgesehen davon schaute er die ganze Zeit nur mit undurchdringlicher Miene geradeaus. Achtundvierzig Chorsänger (ich habe sie gezählt) sangen etwas auf Latein. Rupert schwitzte in seinem Frack und hob eine Augenbraue, als würde er sich freuen und gleichzeitig wie ein Trottel fühlen. Niemand klatschte oder jubelte, als sie zu Mann und Frau erklärt wurden. Rupert sah aus, als fühlte er sich leicht unbehaglich, dann tauchte er zu seiner Frau hinab wie ein Storch auf Froschsuche und verfehlte knapp ihren Mund. Ich fragte mich, ob reiche Leute es vulgär fanden, sich vor dem Altar richtig zu küssen.
    Und dann war es vorbei. Will fuhr schon Richtung Kirchenausgang. Ich sah seinen Hinterkopf, hoch erhoben und seltsam würdevoll, und ich wollte ihn fragen, ob es ein Fehler gewesen war, hierherzukommen. Ich wollte ihn fragen, ob er sie noch liebte. Ich wollte ihm sagen, dass er viel zu gut war für diese dämliche Karamell-Frau, ganz egal, wie toll sie aussah, und dass … ich wusste nicht, was ich ihm sonst noch sagen wollte.
    Ich wollte es einfach besser für ihn machen.
    «Alles okay?», sagte ich, als ich ihn eingeholt hatte.
    Denn schließlich hätte eigentlich er es sein sollen, der heute vorm Altar stand.
    Er blinzelte ein paarmal. «Bestens», sagte er. Dann atmete er aus, als hätte er die Luft angehalten, und schaute zu mir hoch. «Komm, holen wir uns was zu trinken.»
    Das Zelt war in einem ummauerten Garten aufgebaut worden, das schmiedeeiserne Tor, das hineinführte, war mit blassrosa Blumengirlanden geschmückt. Die Bar am Ende des Zelts wurde schon umlagert, also schlug ich Will vor, draußen zu warten, während ich ihm etwas zu trinken besorgte. Ich schlängelte mich zwischen Tischen hindurch, die mit Leinendecken und mehr Besteck und Gläsern gedeckt waren, als ich je im Leben gesehen hatte. Die Stühle hatten vergoldete Rückenlehnen, wie die Stühle, die man bei großen Modeschauen sieht, und weiße Lampions hingen über jedem der mit Freesien und Lilien bestückten Tafelaufsätze. Die Luft war so mit ihrem Duft erfüllt, dass ich sie beinahe stickig fand.
    «Pimm’s?», sagte der Barmann, als ich zu ihm kam.
    «Mmm …» Ich sah mich um und stellte fest, dass es das einzige Getränk war, das sie anboten. «Oh. Okay. Zwei bitte.»
    Er lächelte mich an. «Später gibt es natürlich auch andere Getränke. Aber Miss Dewar wollte, dass alle mit Pimm’s anfangen.» Er sah mich mit leicht verschwörerischem Blick an und teilte mir durch ein beinahe unmerkliches Heben der Augenbraue mit, was er davon hielt.
    Ich starrte auf das rosafarbene Limonadengetränk. Mein Dad hatte gesagt, die reichsten Leute wären auch immer die geizigsten, aber es wunderte mich trotzdem, dass sie nicht einmal eine Hochzeitsfeier mit Alkohol anfingen. «Dann müssen wir eben damit anstoßen», sagte ich und nahm die Gläser von ihm entgegen.
    Als ich Will wiederfand, redete ein Mann mit ihm. Er war jung, trug eine Brille und war neben Will in die Hocke gegangen, den einen Arm auf Wills Stuhl gelegt. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, und ich musste die Augen zusammenkneifen, um die beiden richtig sehen zu können. Auf einmal wurde mir der Zweck all dieser breitkrempigen Hüte klar.
    «Es ist so verdammt gut, dich wiederzusehen, Will», sagte der Mann. «Im Büro ist es nicht mehr dasselbe, ohne dich. Das sollte ich nicht sagen … aber es ist nicht mehr dasselbe. Überhaupt nicht.»
    Er sah aus wie ein junger Rechnungsprüfer oder so etwas. Der Typ Mann, der sich nur in einem Anzug richtig wohl

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