Ein ganzes halbes Jahr
nicht daran erinnern konnte, was sie alles mit mir gemacht hatten, aber dass mich diese Erinnerungslücke von einer halben Stunde seitdem verfolgte. Weil ich sie ausfüllte. Ich füllte sie mit ihrem Lachen aus, mit ihren Körpern und ihren Worten. Ich füllte sie mit meiner Demütigung aus. Ich erzählte ihm, wie ich ihre Gesichter jedes Mal vor mir sah, wenn ich irgendwo außerhalb der Stadt war, und wie Patrick und Mum und Dad und mein unbedeutendes kleines Leben mit all seinen Problemen und Beschränkungen genau richtig für mich gewesen war. So hatte ich mich sicher gefühlt.
Als ich aufhörte zu erzählen, war es dunkel geworden, und ich hatte vierzehn Nachrichten auf meinem Handy, in denen gefragt wurde, wo wir waren.
«Ich muss dir nicht erklären, dass es nicht deine Schuld war», sagte er leise.
Der Himmel über uns war unendlich weit geworden.
Ich drehte das Taschentuch in meiner Hand. «Ja. Aber trotzdem. Ich denke immer noch, ich wäre dafür … verantwortlich. Ich habe zu viel getrunken, um anzugeben. Ich habe hemmungslos geflirtet. Ich war …»
«Nein. Die waren dafür verantwortlich.»
Niemand hatte das je zu mir gesagt. Sogar Treenas mitleidiger Blick hatte eine stumme Anklage enthalten. Tja, wenn man sich betrinkt und Männer anmacht, kann man nie wissen …
Seine Finger drückten meine. Eine hauchzarte Bewegung, aber sie war da.
«Louisa. Es war nicht deine Schuld.»
Dann weinte ich. Ohne zu schluchzen. Die Tränen rollten lautlos über meine Wangen, und ich spürte, dass ich mit ihnen noch etwas anderes loswurde. Das Schuldgefühl. Die Angst. Und ein paar andere Dinge, für die ich noch keine Worte gefunden hatte. Ich lehnte meinen Kopf leicht an seine Schulter, und er ließ seinen zur Seite sinken, bis er an meinem lag.
«Also. Hörst du mir zu?»
Ich murmelte ein Ja.
«Dann erkläre ich dir etwas Gutes», sagte er und wartete kurz ab, als wolle er sicher sein, dass ich auch genau aufpasste. «Manche Ereignisse … haben schlimmere Folgen als andere. Aber du musst diese Nacht nicht zu dem werden lassen, was deine Persönlichkeit bestimmt.»
Ich spürte, wie er seinen Kopf an meinem bewegte.
«Es liegt an dir, Clark, das nicht zuzulassen.»
Das Seufzen, das mir entschlüpfte, war lang und bebend. Schweigend saßen wir nebeneinander und ließen seine Worte wirken. Ich hätte so die ganze Nacht sitzen können, oberhalb der restlichen Welt, die Wärme von Wills Hand in meiner, und mit dem Gefühl, dass das Bösartigste, was ich in mir trug, langsam begann, sich aufzulösen.
«Wir machen uns besser auf den Weg», sagte er schließlich. «Bevor sie noch einen Suchtrupp losschicken.»
Ich ließ seine Hand los, stand zögernd auf und spürte den kühlen Wind auf meiner Haut. Und dann, beinahe wohlig, streckte ich die Arme hoch über den Kopf. Ich reckte die Finger in die Abendluft, ließ zu, dass die Anspannung von Wochen, Monaten oder vielleicht auch Jahren abebbte, und atmete laut aus.
Unterhalb von uns funkelten die Straßenlampen der Stadt, ein Lichtkreis in der dunklen Landschaft. Ich drehte mich zu ihm um. «Will?»
«Ja?»
Ich konnte ihn in der einbrechenden Dunkelheit kaum noch erkennen, aber ich wusste, dass er mich ansah. «Danke. Danke, dass du mich dort herausgeholt hast.»
Er schüttelte den Kopf und drehte seinen Stuhl zum Weg um.
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Kapitel 18
D isneyland ist gut.»
«Ich habe doch gesagt, keine Freizeitparks.»
«Ich weiß, dass Sie das gesagt haben, aber dort gibt es viel mehr als Achterbahnen und sich drehende Teetassen. In Florida haben sie auch noch Filmstudios und ein Forschungszentrum. Es wäre also ein richtiger Bildungsausflug.»
«Ich glaube nicht, dass ein 35-jähriger Ex-Firmenvorstand noch auf Bildungsausflüge angewiesen ist.»
«Und es gibt an jeder Ecke Behindertentoiletten. Und die Angestellten kümmern sich um einen. Es gäbe keine Probleme zu lösen.»
«Als Nächstes sagen Sie, dass es dort spezielle Karusselle für Rollstuhlfahrer gibt, oder?»
«Sie haben Angebote für jedermann. Warum versuchen Sie es nicht mit Florida, Miss Clark? Wenn es Ihnen nicht gefällt, können Sie immer noch ins SeaWorld gehen. Und das Wetter ist auch super.»
«Ich habe eine Vermutung, wer bei Will gegen den Killerwal als Sieger hervorgeht.»
Er schien mich nicht zu hören. «Und sie haben die besten Bewertungen, wenn es um den Umgang mit Behinderten geht. Wussten Sie, dass sie sich sehr stark bei der Make-A-Wish-Foundation für
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