Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
Vom Netzwerk:
Hilfe?»
    «Geben Sie mir zehn Minuten, Nathan. Ich bin sicher, dass Sie alles Notwendige getan haben. Geben Sie mir zehn Minuten.»
    Er schloss die Augen. Ich maß erneut den Blutdruck und überlegte dabei, wie lange ich warten sollte, bevor ich den Krankenwagen rief. Vor AD hatte ich teuflischen Respekt, denn man wusste nie, wie sie sich entwickelte. Er hatte schon einmal einen Anfall gehabt, zu Beginn meiner Arbeit bei ihm, und war zwei Tage im Krankenhaus gelandet.
    «Wirklich, Nathan, ich sage es Ihnen, wenn ich glaube, dass wir ein Problem haben.»
    Er seufzte, und ich half ihm, sich zurückzusetzen, sodass er sich ans Kopfteil seines Bettes lehnen konnte.
    Er erzählte mir, Louisa wäre so betrunken gewesen, dass er es nicht riskieren wollte, sie an seine gesundheitliche Versorgung zu lassen. «Wer weiß, wo sie die verflixten Schläuche reingesteckt hätte.» Er musste beinahe lachen, als er das sagte. Louisa hatte fast eine halbe Stunde gebraucht, um ihn aus seinem Stuhl in das Bett zu bekommen, erzählte er. Zweimal waren sie dabei zusammen auf dem Boden gelandet. «Zum Glück waren wir alle beide so betrunken, dass wir nichts gespürt haben.» Dann war sie doch noch so geistesgegenwärtig gewesen, bei der Rezeption anzurufen, und sie hatten ihnen einen Hoteldiener zur Unterstützung geschickt. «Netter Typ. Ich habe so eine schwache Erinnerung, als hätte ich darauf bestanden, dass Louisa ihm fünfzig Pfund Trinkgeld gibt. Und weil sie sich damit einverstanden erklärt hat, weiß ich, dass sie tatsächlich betrunken war.»
    Als sie schließlich aus seinem Zimmer gegangen war, hatte Will Angst, dass sie ihres nicht finden würde. In seiner Vorstellung schlief sie zu einem kleinen roten Ball zusammengerollt irgendwo auf einem Treppenabsatz.
    Mein eigenes Bild von Louisa Clark fiel in diesem Moment weniger wohlmeinend aus. «Will, Kumpel, ich glaube, das nächste Mal sollten Sie ein bisschen besser auf sich aufpassen, okay?»
    «Es geht schon, Nathan. Alles in Ordnung. Ich fühle mich schon besser.»
    Ich spürte seinen Blick auf mir, als ich seinen Puls maß.
    «Wirklich. Es war nicht ihre Schuld.»
    Sein Blutdruck war heruntergegangen. In seine Wangen kehrte die Farbe zurück. Ich stieß die Luft aus. Mir war nicht klar gewesen, dass ich den Atem angehalten hatte.
    Wir unterhielten uns ein bisschen, brachten die Zeit herum, bis sich seine Werte ganz normalisiert hatten. Er schien kein bisschen wegen seiner Ex zu leiden. Er sagte nicht viel, aber vor allem war er wohl erschöpft, ansonsten sah er okay aus.
    Ich ließ sein Handgelenk los. «Nettes Tattoo übrigens.»
    Er sah mich schief an.
    «Aber sorgen Sie dafür, dass Sie es nicht noch zu ‹Verfallsdatum am Soundsovielten› bringen, klar?»
    Trotz der Schweißausbrüche und der Schmerzen und der Infektion sah er ausnahmsweise mal so aus, als hätte er etwas anderes im Kopf als die Sache, die ihn sonst vollkommen beanspruchte. Ich dachte, wenn Mrs. Traynor das gewusst hätte, wäre sie vorhin vermutlich nicht so wütend gewesen.

    Wir erzählten Lou nichts von dem, was mittags los gewesen war – das hatte ich Will versprechen müssen –, aber als sie nachmittags wiederkam, war sie trotzdem ziemlich still. Sie war blass, hatte sich die Haare gewaschen und im Nacken zusammengenommen, als wollte sie einen vernünftigen Eindruck machen. Ich konnte mir vorstellen, wie es ihr ging. Manchmal, wenn man sich bis zum Hellwerden betrinkt, fühlt man sich am Morgen ziemlich gut, aber das liegt in Wahrheit nur daran, dass man immer noch ein bisschen betrunken ist. Der Kater streicht noch ein bisschen um dich herum, spielt mit dir, überlegt sich, wann er dich anspringen soll. Ich gehe davon aus, dass es bei ihr um die Mittagszeit war.
    Aber bald wurde mir klar, dass sie nicht nur der Kater quälte.
    Will fragte sie immer wieder, warum sie so schweigsam war, und schließlich sagte sie: «Tja, ich habe gerade festgestellt, dass die ganze Nacht wegzubleiben nicht das Klügste ist, was man machen kann, wenn man gerade mit seinem Freund zusammengezogen ist.»
    Sie lächelte, als sie das gesagt hatte, aber es war ein gezwungenes Lächeln, und Will und ich wussten, dass es richtig Streit gegeben haben musste.
    Das konnte ich dem Typ eigentlich auch nicht vorwerfen. Mir hätte es auch nicht gefallen, wenn meine Frau die ganze Nacht mit einem Kerl wegbleibt, selbst wenn der Kerl im Rollstuhl sitzt. Dabei hatte er nicht einmal den Blick gesehen, mit dem Will sie angeschaut

Weitere Kostenlose Bücher