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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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sie an. Für kurze Momente strahlte er etwas so Zufriedenes aus, dass ihn selbst die Leute in Ruhe ließen, die ihn sonst verstohlen oder mitleidig angeschaut hätten. Er sagte mir, ich solle die Stola ablegen und mich aufrecht hinsetzen. Ich nahm ihm das Jackett ab und lockerte seine Krawatte, und wir versuchten beide, nicht zu kichern, als wir die Tanzenden beobachteten. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie viel besser ich mich fühlte, als ich sah, wie diese vornehmen Leute tanzten. Die Männer wirkten so steif, als hätten sie einen Stromschlag abbekommen, und die Frauen spießten ihre kleinen Finger Richtung Himmel und sahen auch noch bei ihren Drehungen schrecklich gehemmt aus.
    Mary Rawlinson murmelte mehrmals «Gütiger Gott» vor sich hin. Sie warf mir einen Blick zu. Ihre Bemerkungen wurden mit jedem Glas freimütiger. «Wollen Sie nicht mal zeigen, was Sie draufhaben, Louisa?»
    «Auf gar keinen Fall.»
    «Sehr vernünftig. Ich habe schon in einer verdammten Dorfdisco bessere Tänzer gesehen.»
    Um neun bekam ich eine SMS von Nathan.
Alles okay?
Ja. Super, kaum zu glauben. Will hat richtig Spaß.
    Und den hatte er wirklich. Ich sah ihn über eine von Marys Äußerungen lachen, und in mir zog sich etwas auf merkwürdige Art zusammen. Dieser Tag zeigte mir, dass es funktionieren könnte. Er konnte glücklich sein, wenn er die richtigen Leute um sich hatte, wenn man ihm erlaubte, Will zu sein und nicht Der Mann im Rollstuhl , die Symptomliste, das Mitleidsobjekt.
    Und dann, ungefähr um zehn Uhr, begannen die langsamen Tänze. Wir sahen Rupert zu, der mit Alicia über die Tanzfläche kreiste, von deren Rand aus sie von höflichen Zuschauern beklatscht wurden. Ihre Frisur hatte angefangen sich aufzulösen, und sie schlang ihm die Arme um den Hals, als bräuchte sie eine Stütze. Ruperts Hände lagen tief auf ihrem Rücken. Obwohl sie so schön und so reich war, hatte ich auf einmal Mitleid mit ihr. Ich glaubte, dass sie erst merken würde, was sie verloren hatte, wenn es viel zu spät war.
    Nach der Hälfte des Songs gingen auch andere Paare auf die Tanzfläche, sodass wir Rupert und Alicia nicht mehr die ganze Zeit sehen konnten, und ich wurde von Mary abgelenkt, die von Vergütungen für Pflegekräfte sprach. Als ich aufsah, stand sie mit einem Mal direkt vor uns, das Supermodel in seinem weißen Seidenkleid. Mir schlug das Herz plötzlich bis zum Hals.
    Alicia beugte sich vor, sodass Will sie über die Musik hinweg hören konnte. Ihre Miene war angespannt, als hätte sie sich zwingen müssen, zu uns herüberzukommen.
    «Danke, dass du gekommen bist, Will. Wirklich.» Sie warf mir einen Seitenblick zu, sagte aber nichts.
    «Ist mir ein Vergnügen», sagte Will lässig. «Du siehst bezaubernd aus, Alicia. Es war ein sehr schöner Tag.»
    Ein überraschter Ausdruck flog über ihr Gesicht. Und dann leichte Wehmut. «Wirklich? Meinst du das ernst? Ich wollte … ich meine, es gibt so vieles, was ich dir sagen will …»
    «Wirklich», sagte Will. «Das ist nicht notwendig. Erinnerst du dich noch an Louisa?»
    «Ja.»
    Kurzes Schweigen.
    Im Hintergrund sah ich Rupert herumstehen und uns argwöhnisch betrachten. Alicia warf ihm einen Blick zu und streckte dann in einem halben Winken die Hand aus. «Also, vielen Dank noch mal, Will. Du bist ein Superstar, weil du gekommen bist. Und danke für den …»
    «Spiegel.»
    «Ja, natürlich. Der Spiegel hat mir wahnsinnig gut gefallen.» Sie richtete sich auf und ging zu ihrem Ehemann zurück, der sich schon halb umgedreht hatte und sie sofort am Arm nahm.
    Wir sahen sie über die Tanzfläche weggehen.
    «Du hast ihr keinen Spiegel geschenkt.»
    «Ich weiß.»
    Sie redeten immer noch, Rupert schaute über die Schulter zu uns zurück. Es war, als könnte er nicht glauben, dass Will einfach nur nett zu Alicia gewesen war. Na ja, ich konnte es auch kaum glauben.
    «Macht es … macht es dir etwas aus?», sagte ich zu ihm.
    Er wandte den Blick von ihnen ab. «Nein», sagte er, und er lächelte mich an. Sein Lächeln war ein bisschen schief nach dem Alkohol, und seine Augen waren traurig und nachdenklich zugleich.
    Und dann, als sich die Tanzfläche vor dem nächsten Lied leerte, hörte ich mich sagen: «Was meinst du, Will, sollen wir einen Versuch wagen?»
    «Wie bitte?»
    «Komm schon. Bieten wir diesen Idioten ein bisschen Gesprächsstoff.»
    «Oh, sehr gut», sagte Mary und hob ihr Glas. «Das wäre verdammt großartig.»
    Ich ließ ihm keine Wahl. Ich setzte mich

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