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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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und ab gehen hören.
    «Ich habe euch beide mindestens achtzehnmal übers Handy zu erreichen versucht. Erst als ich schließlich bei den Dewars angerufen habe und mir jemand erklärt hat, der ‹Mann im Rollstuhl› sei in ein Hotel gegangen, konnte ich sicher sein, dass ihr keinen schrecklichen Unfall auf der Autobahn hattet.»
    «‹Der Mann im Rollstuhl›. Wie nett», bemerkte Will.
    Aber man sah ihm an, dass er sich nicht darüber ärgerte. Er war locker und entspannt, ertrug seinen Kater mit Humor, auch wenn ich glaubte, dass er richtige Schmerzen hatte. Erst als seine Mum anfing, Louisa runterzuputzen, hörte er auf zu lächeln. Er mischte sich ein und meinte, wenn sie irgendetwas zu sagen hätte, dann sollte sie es ihm sagen, denn es sei seine Entscheidung gewesen, dort zu übernachten, und Louisa wäre dieser Entscheidung nur gefolgt.
    «Und soweit ich es beurteilen kann, Mutter, bin ich streng genommen niemandem Rechenschaft schuldig, wenn ich in einem Hotel übernachte. Nicht einmal meinen Eltern.»
    Sie hatte die beiden angestarrt, etwas über ‹grundlegende Höflichkeit› gegrummelt und war gegangen.
    Louisa wirkte ein bisschen schockiert, aber er war darüber hinweggegangen und hatte ihr etwas zugemurmelt, und da habe ich es gesehen. Sie wurde ein bisschen rot und lachte auf die Art, auf die man lacht, wenn man eigentlich nicht lachen sollte. Es war ein verschwörerisches Lachen. Und dann drehte sich Will zu ihr um und sagte, sie solle sich den restlichen Tag freinehmen. Nach Hause gehen, sich umziehen, ein Nickerchen machen.
    «Ich kann nicht mit jemandem um die Burg spazieren, der sich so schamlos verhalten hat», sagte er.
    «Schamlos?» Ich konnte nicht verhindern, dass ich sehr überrascht klang.
    «Nicht auf die Art schamlos», sagte Louisa, schlug mit ihrem Schal nach mir und griff nach ihrem Mantel, um zu gehen.
    «Nimm das Auto», rief er. «Damit kommst du einfacher wieder zurück.»
    Ich beobachtete Will, der ihr mit dem Blick folgte, bis sie an der Hintertür war.
    Allein schon aufgrund dieses Blicks hätte ich sieben zu vier darauf gewettet.
    Er fiel in sich zusammen, nachdem sie gegangen war. Es kam mir vor, als hätte er durchgehalten, bis sowohl seine Mutter als auch Louisa den Anbau verlassen hatten. Ich musterte ihn genau, und nun, wo er nicht mehr lächelte, gefiel mir sein Aussehen überhaupt nicht. Seine Haut war fleckig, er war zweimal vor Schmerz zusammengezuckt, als er glaubte, niemand würde ihn anschauen, und ich sah sogar aus der Entfernung seine Gänsehaut. In meinem Kopf begann eine kleine Alarmglocke zu läuten, noch weit weg, aber trotzdem schrill.
    «Fühlen Sie sich gut, Will?»
    «Mir geht’s bestens. Kein Grund zur Sorge.»
    «Möchten Sie mir sagen, wo Sie die Schmerzen haben?»
    Da sah er mich leicht resigniert an, als wüsste er, dass ich ihn durchschaut hatte. Wir arbeiteten schließlich schon ziemlich lange zusammen.
    «Okay. Etwas Kopfschmerzen. Und … mmh … und die Schläuche müssen gewechselt werden. Vermutlich am besten jetzt sofort.»
    Ich hatte ihn von seinem Stuhl aufs Bett gehoben und begann nun, die Utensilien zusammenzusuchen. «Um welche Zeit hat sie Lou heute Morgen gewechselt?»
    «Hat sie gar nicht.» Er zuckte zusammen und wirkte leicht schuldbewusst. «Und gestern Abend auch nicht.»
    «Was?»
    Ich fühlte ihm den Puls und maß den Blutdruck. Er war natürlich viel zu hoch. Als ich ihm die Hand auf die Stirn legte, spürte ich einen leichten Schweißfilm. Ich ging zu seinem Medizinschränkchen und zermahlte ein paar Tabletten zur Erweiterung der Blutgefäße. Ich rührte sie in Wasser und achtete darauf, dass er alles trank. Dann richtete ich ihn auf, legte seine Beine über die Seite des Bettes und wechselte schnell die Schläuche, wobei ich ihn die ganze Zeit im Auge behielt.
    «AD?»
    «Genau. Das war nicht besonders schlau von Ihnen, Will.»
    Autonome Dysreflexie war so ungefähr unser schlimmster Albtraum. Es bedeutete eine massive Überreaktion von Wills Körper auf Schmerzen oder Unwohlsein – oder sagen wir einen nicht geleerten Katheter –, es war der vergebliche und fehlgesteuerte Versuch seines geschädigten Nervensystems, alles unter Kontrolle zu behalten. Es konnte wie aus dem Nichts kommen und einen körperlichen Zusammenbruch herbeiführen. Er war blass und atmete schwer.
    «Wie fühlt sich Ihre Haut an?»
    «Sie prickelt ein bisschen.»
    «Sehvermögen?»
    «In Ordnung.»
    «O Mann. Glauben Sie, wir brauchen

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