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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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sagen – die Wahrheit, die nur ganz wenige kannten. Dass das Mädchen, falls es mit seiner Ranch und seinem Bungee-Jumping und seinen Whirlpools und so weiter scheiterte, mich damit paradoxerweise frei werden lassen würde. Denn die einzige Möglichkeit für mich, jemals meine Familie zu verlassen, bestand darin, dass Will am Ende doch noch beschloss, an diesen schrecklichen Ort in der Schweiz zu gehen.
    Ich wusste das, und Camilla wusste es auch. Obwohl wir es niemals vor uns zugegeben hätten. Nur der Tod meines Sohnes würde mir die Freiheit geben, mein Leben selbst zu bestimmen.
    «So darfst du nicht denken», sagte sie, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.
    Die gute Della. Sie wusste, was ich dachte, noch bevor ich es selbst wusste.
    «Das sind gute Neuigkeiten, Steven. Wirklich. Man weiß nie, das könnte der Beginn eines ganz neuen, unabhängigen Lebens für Will sein.»
    Ich legte meine Hand auf ihre. Ein mutigerer Mann hätte ihr gesagt, was ich wirklich dachte. Ein mutigerer Mann hätte sie schon längst freigegeben – sie und vielleicht sogar meine Frau.
    «Du hast recht», sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. «Hoffen wir, dass er voller Geschichten von Bungee-Sprüngen oder anderen schrecklichen Dingen zurückkommt, die sich die jungen Leute heutzutage antun.»
    Sie stupste mich spielerisch in die Seite. «Vielleicht lässt er dich dann so eine Anlage in der Burg aufbauen.»
    «Wildwasser-Rafting im Wallgraben?», sagte ich. «Das merke ich mir als mögliche Touristenattraktion für die nächste Saison.»
    Mit dieser unwahrscheinlichen Vorstellung amüsierten wir uns weiter und gingen, gelegentlich vor uns hin kichernd, bis hinunter zum Bootshaus.
    Und dann bekam Will eine Lungenentzündung.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 22
    I ch rannte in die Notaufnahme. Das verzweigte Krankenhausgebäude und mein nicht vorhandener Orientierungssinn führten dazu, dass ich eine Ewigkeit brauchte, bis ich die Intensivstation gefunden hatte. Ich musste dreimal fragen, bevor mir jemand die richtige Richtung zeigte. Schließlich drückte ich atemlos keuchend die Tür zu Station C12 auf, und dort, im Flur, saß Nathan und las Zeitung. Er sah auf, als ich näher kam.
    «Wie geht es ihm?»
    «Bekommt Sauerstoff. Ist stabil.»
    «Ich verstehe das nicht. Am Freitagabend ging es ihm gut. Er hatte leichten Husten, aber … aber so etwas? Was ist denn passiert?»
    Mein Herz raste. Ich setzte mich kurz und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Ich war ziemlich viel gerannt, seit mich eine Stunde zuvor Nathans SMS erreicht hatte. Er richtete sich auf und faltete die Zeitung zusammen.
    «Das ist nicht das erste Mal, Lou. Er bekommt Bakterien in die Lunge, der Hustenreflex funktioniert nicht richtig, und die Entzündung breitet sich ziemlich schnell in der Lunge aus. Ich habe am Samstagnachmittag versucht, seine Lunge freizubekommen, aber er hatte zu starke Schmerzen. Er hat aus heiterem Himmel Fieber bekommen und dann stechende Schmerzen in der Brust. Am Samstagabend mussten wir den Krankenwagen rufen.»
    «Mist», sagte ich und beugte mich nach vorn. «Mistmistmistmist. Kann ich zu ihm?»
    «Er ist ziemlich fertig. Bin nicht sicher, ob Sie was aus ihm rauskriegen. Und Mrs. T. ist bei ihm.»
    Ich ließ meine Tasche bei Nathan, wusch mir die Hände mit antibakterieller Lösung, schob die Tür auf und ging in das Zimmer.
    Will lag unter einem blauen Krankenhauslaken im Bett, war an einen Tropf angeschlossen und von mehreren unregelmäßig piependen Geräten umstellt. Sein Gesicht wurde zum Teil von einer Sauerstoffmaske verdeckt, und seine Augen waren geschlossen. Seine Haut wirkte grau und war mit bläulich weißen Flecken durchzogen, bei deren Anblick sich etwas in mir zusammenzog. Mrs. Traynor saß neben ihm, eine Hand auf seinen Arm unter dem Laken gelegt. Sie starrte blicklos an die Wand.
    «Mrs. Traynor», sagte ich.
    Sie fuhr zusammen. «Oh. Louisa.»
    «Wie … geht es ihm?» Ich wollte Wills Hand nehmen, aber ich hatte das Gefühl, dass sie etwas dagegen hätte, wenn ich mich setzte. Ich blieb in der Nähe der Tür stehen. Auf ihrem Gesicht lag eine solche Niedergeschlagenheit, dass man sich schon als Eindringling fühlte, wenn man nur den Raum betrat.
    «Ein bisschen besser. Sie haben ihm ein paar ziemlich starke Antibiotika verabreicht.»
    «Kann ich … kann ich irgendetwas tun?»
    «Ich glaube nicht, nein. Wir … wir müssen einfach abwarten. Der Arzt macht in ungefähr einer Stunde Visite. Er wird uns

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