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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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ein Papiertaschentuch und wischte ihm vorsichtig das Gesicht ab.
    «Und wie fühlst du dich?»
    «Ging schon mal besser.»
    Ein dicker Kloß war mir ungebeten in die Kehle gestiegen, und ich versuchte, ihn herunterzuschlucken. «Ich weiß auch nicht. Du tust einfach alles, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen, Will Traynor. Ich wette, das war bloß ein …»
    Er schloss die Augen und schnitt mir damit mitten im Satz das Wort ab. Als er sie wieder aufschlug, sah er mich entschuldigend an. «Sorry, Clark. Ich glaube, ich bin heute nicht zum Scherzen aufgelegt.»
    So saß ich bei ihm, und ich redete, füllte das kleine, blassgrüne Zimmer mit meinem Geplapper, erzählte ihm, dass ich meine Sachen von Patrick zurückgeholt hatte und wie viel einfacher es war, meine CDs aus seiner Sammlung herauszusuchen, weil er bei meinem Einzug darauf bestanden hatte, dass ich sie kennzeichnete und alphabetisch einsortierte.
    «Alles klar mit dir?», fragte er, als ich endlich verstummte. Sein Blick war mitleidig. Anscheinend glaubte er, die Trennung von Patrick würde mir mehr ausmachen, als sie es tat.
    «Ja. Schon.» Ich zuckte mit den Schultern. «Es ist wirklich nicht so schlimm. Außerdem habe ich andere Sachen im Kopf.»
    Will schwieg. «Es ist so», sagte er schließlich, «ich bin nicht sicher, dass ich in absehbarer Zukunft einen Bungee-Sprung hinlegen kann.»
    Das hatte ich gewusst. Ich hatte damit gerechnet, seit ich die SMS von Nathan bekommen hatte. Aber es aus seinem Mund zu hören, war trotzdem ein ziemlicher Schlag.
    «Kein Problem», sagte ich und kämpfte gegen das Schwanken meiner Stimme. «Es ist okay. Wir machen das ein anderes Mal.»
    «Es tut mir leid. Ich weiß, wie sehr du dich darauf gefreut hast.»
    Ich legte meine Hand auf seine Stirn und strich ihm das Haar zurück. «Schsch. Wirklich. Es ist nicht wichtig. Sorg du nur dafür, dass es dir wieder besser geht.»
    Mit einem leichten Zusammenzucken schloss er die Augen. Ich wusste, was sie sagten – diese Falten um seine Augen, dieser resignierte Gesichtsausdruck. Sie sagten, dass es vielleicht kein anderes Mal geben würde. Sie sagten, dass er nicht daran glaubte, es könnte ihm jemals wieder besser gehen.

    Auf dem Rückweg vom Krankenhaus fuhr ich im Granta House vorbei. Wills Vater machte mir auf. Er sah beinahe genauso erschöpft aus wie Mrs. Traynor. Er trug eine abgenutzte Barbour-Jacke, offensichtlich wollte er gerade weggehen. Ich erzählte ihm, dass Mrs. Traynor jetzt wieder bei Will war und dass die Antibiotika anscheinend gut anschlugen, ich ihm aber trotzdem ausrichten sollte, dass sie wieder über Nacht im Krankenhaus bleiben würde. Ich wusste nicht, warum sie ihm das nicht selbst sagen konnte. Vielleicht ging ihr einfach zu viel durch den Kopf.
    «Wie sieht er aus?»
    «Ein bisschen besser als heute Morgen», sagte ich. «Er hat etwas getrunken, während ich dort war. Oh, und er hat eine von den Krankenschwestern angemotzt.»
    «Immer noch so unmöglich wie eh und je.»
    «Ja, immer noch so unmöglich wie eh und je.»
    Einen Moment lang presste Mr. Traynor die Lippen zusammen, und seine Augen schimmerten feucht. Er wandte den Blick ab, sah aus dem Fenster, und dann schaute er wieder mich an. Ich weiß nicht, ob es ihm lieber gewesen wäre, ich hätte weggesehen.
    «Das dritte Mal. In zwei Jahren.»
    Ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand. «Die Lungenentzündung?»
    Er nickte. «Scheußliche Sache. Er ist ziemlich tapfer, wissen Sie. Hinter all seiner Wut.» Er schluckte und nickte vor sich hin. «Es ist gut, dass Sie das sehen können, Louisa.»
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich streckte die Hand aus und berührte seinen Arm. «Ja, ich kann es sehen.»
    Er nickte mir noch einmal knapp zu, dann nahm er seinen Hut von der Garderobe im Flur. Während er etwas murmelte, was ein Dank oder ein Abschied gewesen sein konnte, ging Mr. Traynor an mir vorbei und aus dem Haus.
    Im Anbau war es ohne Will merkwürdig still. Mir wurde bewusst, wie sehr ich mich an das entfernte Geräusch seines Rollstuhlmotors gewöhnt hatte, wenn er hin und her fuhr, an seine leisen Gespräche mit Nathan im Nebenzimmer, an das Radio im Hintergrund. Jetzt war es im Anbau vollkommen ruhig und die Luft um mich wie ein Vakuum.
    Ich packte eine Tasche mit allem, was er am nächsten Tag brauchen könnte, einschließlich frischer Kleidung, seiner Zahnbürste, Kamm und Medikamente, aber auch den Kopfhörer, falls es ihm gut genug ging, um Musik zu

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