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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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hinschmeißt. Dann kriegst du kein Arbeitslosengeld, Lou. Das kannst du nicht machen. Wir können es uns nicht leisten, dass du das machst.»
    Sie hatte recht. Ich hasste meine Schwester.
    Wir schwiegen kurz. Dann wurde Treens Stimme untypisch verständnisvoll. Und das war wirklich besorgniserregend. Es bedeutete nämlich, wie sehr ihr bewusst war, dass ich echt den schlimmsten Job auf der Welt hatte. «Hör mal», sagte sie. «Es sind doch nur sechs Monate. Zieh einfach dieses halbe Jahr durch, dann kannst du etwas Vernünftiges in deinen Lebenslauf schreiben und bekommst eine Arbeit, die dir wirklich gefällt. Und hey – sieh es doch mal so: Wenigstens musst du keine Nachtschichten in der Hühnerfabrik schieben, okay?»
    «Nachtschichten in der Hühnerfabrik wären der reinste Erholungsurlaub im Vergleich mit …»
    «Ich muss jetzt Schluss machen, Lou. Wir sehen uns später.»

    «Möchten Sie heute Nachmittag irgendwohin? Wir könnten irgendwohin fahren, wenn Sie möchten.»
    Nathan war schon beinahe eine halbe Stunde weg. Ich hatte den Abwasch der Teebecher so lange wie nur menschenmöglich hingezogen, und es kam mir vor, als würde ich explodieren, wenn ich noch eine weitere Stunde in diesem totenstillen Haus verbrachte.
    Er drehte mir den Kopf zu. «An was hatten Sie gedacht?»
    «Ich weiß nicht. Einfach ein bisschen über Land fahren?» Ich hatte beschlossen, mein Ich-bin-Treena-Spielchen zu spielen. Das tue ich manchmal. Sie gehört zu den Leuten, die so absolut ruhig und kompetent wirken, dass ihnen kein Mensch jemals blöd kommt. Ich klang, jedenfalls für meine Ohren, professionell und optimistisch.
    «Über Land», sagte er, als würde er darüber nachdenken. «Und was würden wir da zu sehen bekommen? Ein paar Bäume? Ein bisschen Himmel?»
    «Ich weiß nicht. Was unternehmen Sie denn normalerweise?»
    «Ich unternehme gar nichts, Miss Clark. Ich kann nichts mehr unternehmen. Ich sitze da. Ich vegetiere einfach vor mich hin.»
    «Nun», sagte ich, «mir wurde aber gesagt, dass Sie ein rollstuhlgerechtes Auto haben.»
    «Und Sie machen sich also Sorgen, dass es nicht mehr fährt, falls es nicht täglich benutzt wird.»
    «Nein, aber ich …»
    «Oder wollen Sie mir sagen, dass ich rausmuss?»
    «Ich habe nur gedacht …»
    «Sie haben gedacht, so eine kleine Spritztour würde mir guttun? Ein bisschen frische Luft?»
    «Ich versuche doch nur …»
    «Miss Clark, mein Befinden wird sich durch eine Fahrt über die Landstraßen von Stortfold nicht signifikant verbessern.» Er drehte sich weg.
    Sein Kopf sank zwischen seine Schultern, und ich überlegte, ob er bequem saß. Aber es schien mir nicht der richtige Moment, um ihn danach zu fragen. Schweigend saßen wir da.
    «Soll ich Ihnen Ihren Computer bringen?»
    «Wozu? Denken Sie an eine Tetraplegiker-Selbsthilfegruppe, in die ich eintreten könnte? Hier kommen die Tetras? Der Rolli-Club?»
    Ich holte tief Luft und versuchte selbstsicher zu klingen. «Okay … also … nachdem wir jetzt sehr viel Zeit miteinander verbringen werden, sollten wir uns vielleicht besser kennenlernen …»
    Auf einmal hatte er einen Ausdruck im Gesicht, der mich ins Stocken brachte. Er starrte geradeaus an die Wand, an seinem Kinn zuckte ein Muskel.
    «Es ist nur … es ist doch wirklich ziemlich viel Zeit. Jeden Tag», fuhr ich fort. «Wenn Sie mir vielleicht ein bisschen erzählen würden, was Sie machen möchten, was Ihnen gefällt, dann kann ich … dafür sorgen, dass es so läuft, wie Sie es wollen?»
    Dieses Mal tat sein Schweigen richtig weh. Meine Stimme versickerte in der Stille, und ich wusste nicht, was ich mit meinen Händen anfangen sollte. Treena und ihre kompetente Art hatten sich komplett verflüchtigt.
    Irgendwann summte der Motor des Rollstuhls, und er drehte sich zu mir um.
    «Ich weiß Folgendes über Sie, Miss Clark. Meine Mutter sagte, Sie seien kommunikativ.» Bei ihm klang das wie eine Krankheit. «Können wir eine Vereinbarung treffen? Dass Sie sich in meiner Gesellschaft vollkommen un -kommunikativ verhalten?»
    Ich schluckte, mein Gesicht brannte.
    «Sehr gut», sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. «Ich bin in der Küche. Wenn Sie etwas möchten, rufen Sie einfach nach mir.»

    «Du kannst nicht jetzt schon aufgeben.»
    Ich lag quer auf dem Bett und hatte die Beine an der Wand hochgestreckt, so wie ich es als Teenager oft gemacht hatte. Ich war seit dem Abendessen hier oben, und das kam bei mir selten vor. Seit Thomas auf der Welt war,

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