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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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zuständig.»
    «Und wofür bin ich zuständig?»
    Nathan musterte eingehend den Fußboden, bevor er mich wieder ansah. «Versuchen Sie, ihn ein bisschen aufzuheitern. Er ist … etwas launisch. Verständlich, unter diesen … Umständen. Sie brauchen ein ziemlich dickes Fell. Mit dieser kleinen Vorstellung vorhin wollte er Sie verunsichern.»
    «Ist die Bezahlung deshalb so gut?»
    «Na klar. Für nichts gibt’s nichts, oder?» Nathan klopfte mir auf die Schulter. Der Schlag vibrierte in meinem gesamten Körper. «Ach, er ist schon okay. Sie müssen ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen.» Er zögerte. «Ich mag ihn.»
    So, wie er es sagte, klang es, als wäre er da womöglich der Einzige.
    Ich folgte ihm zurück ins Wohnzimmer. Will Traynor hatte seinen Rollstuhl ans Fenster gefahren, er saß mit dem Rücken zu uns und schaute hinaus, während er sich eine Radiosendung anhörte.
    «Alles geklärt, Will. Brauchen Sie noch etwas, bevor ich gehe?»
    «Nein. Danke, Nathan.»
    «Ich übergebe Sie Miss Clarks fähigen Händen. Wir sehen uns heute Mittag, Kumpel.»
    Als ich zusah, wie der freundliche Pfleger seine Jacke anzog, stieg Panik in mir auf.
    «Also, amüsiert euch.» Nathan zwinkerte mir zu, und dann war er weg.
    Ich stand mitten im Raum, die Hände in die Taschen gebohrt, und wusste nicht, was ich tun sollte. Will Traynor starrte weiter aus dem Fenster, als wäre ich nicht da.
    «Möchten Sie, dass ich Ihnen einen Tee mache?», fragte ich schließlich, als das Schweigen unerträglich wurde.
    «Ah. Stimmt. Das Mädchen, das seinen Lebensunterhalt mit Teekochen verdient. Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bevor Sie mir Ihre Talente beweisen wollen. Nein. Nein danke.»
    «Dann vielleicht einen Kaffee?»
    «Ich habe derzeit keinen Bedarf an warmen Getränken, Miss Clark.»
    «Sie können mich Lou nennen.»
    «Macht das irgendwas besser?»
    Ich blinzelte, und mein Mund öffnete sich. Ich machte ihn wieder zu. Dad sagte immer, dabei sähe ich dümmer aus, als ich in Wirklichkeit war. «Dann … kann ich Ihnen irgendetwas anderes bringen?»
    Er drehte sich zu mir um. Seine Bartstoppeln waren so lang, dass er sich seit Wochen nicht rasiert haben konnte, und sein Blick war unergründlich. Er drehte sich wieder weg.
    «Ich …» Ich sah mich im Zimmer um. «Dann sehe ich nach, ob es Wäsche zu waschen gibt.»
    Mit heftig klopfendem Herzen ging ich hinaus. In der Küche zog ich mein Handy aus der Tasche und schrieb eine SMS an meine Schwester.
Es ist schrecklich. Er hasst mich.
    Die Antwort kam innerhalb von Sekunden.
Du bist erst eine Stunde dort,
du Jammerlappen! M & D haben
echt Geldsorgen. Reiß dich
zusammen & denk an den
Stundenlohn. X
    Ich klappte mein Handy zu und blies die Backen auf. Ich sah den Wäschekorb im Badezimmer durch. Was ich zusammenbekam, füllte die Waschmaschine zu knapp einem Viertel. Dann verbrachte ich mehrere Minuten damit, die Bedienung der Maschine zu studieren, weil ich sie nicht falsch programmieren oder etwas anderes tun wollte, was Mrs. Traynor oder Will dazu bringen würde, mich wieder anzusehen, als wäre ich beschränkt. Dann schaltete ich die Maschine an und stand davor herum, während ich überlegte, was ich sonst noch tun könnte. Ich holte den Staubsauger aus dem Schrank in der Diele, saugte im Flur und in den beiden Schlafzimmern und dachte die ganze Zeit, dass meine Eltern auf einem Erinnerungsfoto bestehen würden, wenn sie mich so sehen könnten. Das Gästezimmer war so dürftig eingerichtet wie ein Hotelzimmer. Ich vermutete, dass Nathan selten darin übernachtete. Daraus konnte man ihm kaum einen Vorwurf machen, fand ich.
    Vor Will Traynors Schlafzimmer zögerte ich, dann beschloss ich, dass ich dort genauso gut staubsaugen konnte wie in den anderen Räumen. In eine Wand war ein Regal eingebaut, auf dem ungefähr zwanzig gerahmte Fotos standen.
    Als ich um das Bett herum staubsaugte, erlaubte ich mir einen kleinen Blick auf die Bilder. Eins zeigte einen Mann, der einen Bungee-Sprung von einer Klippe machte und dabei die Arme ausstreckte wie eine Jesusstatue. Ein anderes zeigte einen Mann, der Will sein konnte, in einem Dschungel, und auf einem anderen sah man ihn mitten in einer Gruppe betrunkener Freunde. Die Männer trugen Fliegen und Dinnerjacketts und hatten sich die Arme um die Schultern gelegt.
    Auf einem Foto stand er auf einer Skipiste neben einer jungen Frau mit Sonnenbrille und langem blondem Haar. Ich nahm das Bild in die Hand, um ihn

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