Ein ganzes halbes Jahr
ich je einen Patrick haben werde, nachdem kein Mann mehr das mindeste Interesse an mir gezeigt hat, seit Thomas da ist. Ich muss selbst mein Bestes versuchen.»
Als ich nichts sagte, fügte sie hinzu: «Für mich und Thomas.»
Ich nickte.
«Lou? Bitte!»
Ich hatte meine Schwester noch nie so erlebt. Es wurde mir richtig unbehaglich dabei. Also hob ich den Kopf und setzte ein Lächeln auf. Meine Stimme, als ich sie endlich wiedergefunden hatte, klang nicht wie meine eigene.
«Tja, wie du schon sagtest. Ich muss mich eben an ihn gewöhnen. War ja klar, dass es in den ersten paar Tagen nicht einfach wird, oder?»
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Kapitel 4
Z wei Wochen vergingen, und mit ihnen entwickelte sich eine Art Routine. Jeden Morgen um acht Uhr erschien ich im Granta House, rief, ich sei da, und dann, nachdem Nathan Will beim Anziehen geholfen hatte, hörte ich ihm genau zu, wenn er mir erklärte, was ich über Wills Medikation wissen musste – oder, noch wichtiger, über seine Laune.
Nachdem Nathan gegangen war, stellte ich das Radio oder das Fernsehen für Will an, holte ihm seine Tabletten, die ich manchmal in dem kleinen Mörser mit dem Marmorstößel zermahlte. Normalerweise gab er mir nach etwa zehn Minuten zu verstehen, dass er genug von mir hatte. Dann machte ich mich an die kleinen Haushaltsaufgaben im Anbau, wusch Geschirrhandtücher, die nicht schmutzig waren, oder steckte irgendwelche Aufsätze auf den Staubsaugerschlauch, um die winzigen Vorsprünge der Sockelleisten oder die Fensterbretter abzusaugen, wobei ich peinlich genau darauf achtete, alle fünfzehn Minuten einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen, so wie es mir Mrs. Traynor befohlen hatte. Wenn ich das tat, saß er fast immer am Fenster und schaute in den trostlos kahlen Garten hinaus.
Später gab ich ihm manchmal ein Glas Wasser oder eines der hochkalorischen Getränke, mit denen er sein Gewicht halten sollte und die aussahen wie pastellfarbener Tapetenkleister, oder ich machte ihm etwas zu essen. Er konnte seine Hände etwas bewegen, aber nicht seine Arme, sodass er Gabel für Gabel gefüttert werden musste. Das waren die schwierigsten Momente des Tages. Irgendwie schien es falsch, einen erwachsenen Mann zu füttern, und meine Verlegenheit machte mich schwerfällig und ungeschickt. Will hasste die Situation so sehr, dass er mich beim Essen nicht einmal ansah.
Dann kam kurz vor eins Nathan wieder, und ich schnappte mir meinen Mantel und verschwand zu einem Spaziergang durch die Straßen. Manchmal aß ich mein Sandwich unter der überdachten Bushaltestelle vor der Burg. Es war kalt, und vermutlich sah ich ziemlich jämmerlich aus, wie ich dort in die Ecke gedrückt mein Brot aß, aber das war mir egal. Ich konnte es einfach nicht den ganzen Tag in diesem Haus aushalten.
Nachmittags legte ich öfter einen Film ein – Will war Mitglied in einem DVD-Club, und jeden Tag kamen per Post neue Filme an –, aber er lud mich nie ein, mir die Filme mit ihm anzusehen, also setzte ich mich gewöhnlich in die Küche oder ins Gästezimmer. Ich fing an, mir ein Buch oder eine Zeitschrift mitzubringen, aber ich hatte Schuldgefühle, wenn ich las, statt zu arbeiten, und konnte mich nie richtig konzentrieren. Manchmal kam am späten Nachmittag Mrs. Traynor vorbei, allerdings sagte sie kaum mehr zu mir als «Ist alles in Ordnung?», worauf die einzig akzeptable Antwort «Ja» zu lauten schien.
Sie fragte Will, ob er etwas brauchte, schlug gelegentlich etwas vor, was er am nächsten Tag machen könnte – einen Ausflug oder einen Besuch bei einem Freund, der nach ihm gefragt hatte –, und er reagierte praktisch immer mit einer abweisenden Antwort, wenn nicht gleich mit einer Grobheit. Dann warf sie ihm einen verletzten Blick zu, fuhr mit den Fingern an ihrem Goldkettchen entlang und verschwand wieder.
Sein Vater, ein gutgepolsterter, freundlich wirkender Mann, kam normalerweise nach Hause, wenn ich gerade ging. Er gehörte zu den Männern, die sich mit einem Panamahut auf dem Kopf Kricketspiele ansehen. Er leitete die Verwaltung der Burg, seit er einen gutbezahlten Job in London aufgegeben hatte. Vermutlich fühlte er sich wie ein mildtätiger Gutsbesitzer, der gelegentlich selbst eine Kartoffel aus der Erde holte, um nicht einzurosten. Er machte jeden Tag pünktlich um fünf Uhr nachmittags Schluss und setzte sich mit Will vor den Fernseher. Manchmal hörte ich ihn die Nachrichten kommentieren, wenn ich zur Haustür ging.
Ich hatte bei der Arbeit
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