Ein ganzes halbes Jahr
Zimmer zu Zimmer mit und stellte es jeweils so leise, dass Will bestimmt nicht davon gestört wurde. Ab und zu schaute ich nach ihm, nur um sicher zu sein, dass er noch atmete, und erst, als er kurz vor ein Uhr immer noch nicht aufgewacht war, fing ich an, ein bisschen unruhig zu werden.
Ich füllte den Holzkorb auf. Draußen lag der Schnee inzwischen schon beinahe zehn Zentimeter hoch. Ich mischte ein Getränk für Will, und dann klopfte ich an seine Tür. Und beim zweiten Mal klopfte ich möglichst laut.
«Ja?» Seine Stimme war heiser, als hätte ich ihn geweckt.
«Ich bin’s.» Als er nicht antwortete, sagte ich: «Louisa. Darf ich hereinkommen?»
«Ich werde wohl kaum den Tanz der sieben Schleier aufführen.»
Es war dämmrig im Zimmer, die Vorhänge waren immer noch zugezogen. Ich ging langsam hinein, meine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Will lag auf der Seite, einen Arm vor sich angewinkelt, als wollte er sich gerade aufstützen. Man konnte leicht vergessen, dass er sich nicht allein umdrehen konnte. Sein Haar stand an einer Seite vom Kopf ab, und die Bettdecke war säuberlich um ihn festgesteckt. Der Geruch nach warmem, ungewaschenem Mann hing im Zimmer – es war nicht unangenehm, aber als Teil des Arbeitstages ein bisschen irritierend.
«Kann ich etwas für Sie tun? Möchten Sie Ihr Getränk?»
«Ich muss die Position wechseln.»
Ich stellte den Becher auf einer Kommode ab und ging zum Bett. «Was … was soll ich machen?»
Er schluckte langsam, als hätte er dabei Schmerzen. «Ziehen Sie mich hoch und drehen Sie mich um, dann stellen Sie das Kopfteil des Bettes auf. Also …» Er nickte mir zu, damit ich näher kam. «Schieben Sie Ihre Arme unter meinen durch, verschränken Sie die Hände auf meinem Rücken, und dann ziehen Sie. Und stützen Sie sich dabei mit der Hüfte am Bett ab, damit Sie keine Zerrung bekommen.»
Ich fühlte mich schon ein bisschen komisch in dieser Situation. Ich schlang meine Arme um ihn, sein Geruch drang in meine Nase, seine Haut auf meiner fühlte sich warm an. Noch näher hätte ich ihm kaum kommen können, es sei denn, ich hätte angefangen, an seinen Ohrläppchen zu knabbern. Diese Vorstellung drohte bei mir einen kleinen hysterischen Anfall hervorzurufen, und ich musste mich schwer zusammenreißen.
«Was ist?»
«Gar nichts.» Ich atmete tief ein, verschränkte meine Hände und stellte mich so hin, dass ich ihn wirklich sicher festhalten konnte. Er war breiter gebaut, als ich gedacht hatte, und auch schwerer. Und dann, auf drei, zog ich ihn hoch.
«Mein Gott!», rief er plötzlich an meiner Schulter.
«Was ist denn?» Beinahe hätte ich ihn losgelassen.
«Ihre Hände sind ja eiskalt.»
«Ja. Na ja, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, aus dem Bett zu kommen, würden Sie wissen, dass es draußen schneit.»
Das sollte eine Art Witz sein, aber dann wurde mir bewusst, wie heiß seine Haut unter dem langärmeligen T-Shirt war, das er trug. Es war eine sehr intensive Wärme, die tief aus seinem Körper aufzusteigen schien. Er stöhnte leise, als ich ihn an das Kissen lehnte, und ich versuchte, ihn so langsam und sanft zu bewegen, wie ich es nur vermochte. Er deutete auf die Fernbedienung für das Kopfteil des Bettes, über das sich sein Oberkörper aufrichten würde. «Aber nicht zu viel», murmelte er. «Ein bisschen schwindelig.»
Ich schaltete trotz seiner Proteste die Nachttischlampe an, sodass ich ihn mir genau ansehen konnte. «Will … alles okay mit Ihnen?», musste ich zweimal fragen, bevor er antwortete.
«Nicht gerade mein bester Tag.»
«Brauchen Sie Schmerzmittel?»
«Ja … starke.»
«Paracetamol?»
Mit einem Seufzen lehnte er sich in das kühle Kissen zurück.
Ich hielt ihm den Becher hin, beobachtete, wie er schluckte.
«Danke», sagte er nach dem Trinken, und auf einmal wurde ich nervös.
Will bedankte sich nie für irgendetwas bei mir.
Er schloss die Augen, und eine Zeitlang blieb ich an der Tür stehen und sah zu, wie sich seine Brust unter dem Shirt hob und senkte. Sein Mund stand leicht offen. Sein Atem war flach und vielleicht etwas angestrengter als sonst. Allerdings hatte ich ihn bisher immer nur in seinem Rollstuhl gesehen, also wusste ich nicht, ob die veränderte Atmung etwas mit der liegenden Position zu tun hatte.
«Gehen Sie», murmelte er.
Ich ging.
Ich las meine Zeitschrift, und wenn ich manchmal den Kopf hob, sah ich durchs Fenster dem dichten Schnee zu, der ums Haus wirbelte, sich in
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