Ein ganzes halbes Jahr
meine Gedanken hören. Ich konnte sogar beinahe meinen Herzschlag hören. Und ich stellte zu meiner Überraschung fest, wie sehr mir das gefiel.
Um fünf Uhr piepte mein Handy, um den Eingang einer SMS anzuzeigen. Will bewegte sich, und ich sprang auf und ging aus dem Zimmer, um ihn nicht zu stören.
Keine Züge. Könnten Sie vielleicht über Nacht bleiben?
Nathan schafft es nicht.
Camilla Traynor
Ohne nachzudenken, schickte ich die Antwort.
Kein Problem.
Dann rief ich meine Eltern an, um ihnen zu sagen, dass ich im Granta House übernachten würde. Meine Mutter klang erleichtert. Und als ich ihr erklärte, dass ich für die Übernachtung bezahlt werden würde, klang sie richtig glücklich.
«Hast du so was schon mal gehört, Bernard?», sagte sie zu meinem Vater. «Jetzt wird sie sogar schon fürs Schlafen bezahlt.»
Da hörte ich meinen Vater ausrufen: «Gelobt sei der Herr! Sie hat ihren Traumjob gefunden.»
Ich schickte Patrick eine SMS, um ihm zu sagen, dass ich gebeten worden war, über Nacht zu bleiben, und dass ich ihn später anrufen würde. Die Antwort kam innerhalb von Sekunden.
Mache heute Abend einen Geländelauf im Schnee.
Gute Übung für Norwegen! P.
Ich fragte mich, wie jemand solche Begeisterung dafür aufbringen konnte, bei unter null Grad in T-Shirt und kurzen Hosen herumzujoggen.
Will schlief. Ich machte mir etwas zu essen und taute für den Fall, dass er später Hunger bekam, etwas Suppe auf. Dann zündete ich im Kaminofen ein Feuer an, denn es konnte ja sein, dass er später noch ins Wohnzimmer kommen wollte. Ich las eine weitere Kurzgeschichte und überlegte, wann ich mir das letzte Mal ein Buch gekauft hatte. Als Kind hatte ich unheimlich gern gelesen, aber inzwischen las ich eigentlich nur noch Zeitschriften. Treen war bei uns die Leseratte. Es war beinahe so, dass ich das Gefühl hatte, in ihr Territorium einzudringen, wenn ich mir ein Buch nahm. Ich dachte daran, dass sie und Thomas Richtung Universität verschwinden würden, und mir wurde klar, dass ich immer noch nicht wusste, ob ich darüber froh oder traurig war – oder etwas Kompliziertes dazwischen.
Um sieben Uhr rief Nathan an. Er klang erleichtert darüber, dass ich über Nacht blieb.
«Ich konnte Mr. Traynor nicht erreichen. Ich habe es auch übers Festnetz versucht, aber da hat sich nur der Anrufbeantworter eingeschaltet», sagte ich.
«Tja. Na ja. Er wird weg sein.»
«Weg?»
Mir wurde unbehaglich bei der Vorstellung, dass die ganze Nacht nur Will und ich im Haus sein würden. Ich hatte Angst, wieder etwas komplett falsch zu machen, Wills Gesundheit zu gefährden. «Soll ich dann noch mal Mrs. Traynor anrufen?», fragte ich.
Am anderen Ende der Leitung trat ein kurzes Schweigen ein. «Nein. Besser nicht.»
«Aber …»
«Hören Sie, Lou, er … er geht oft anderswohin, wenn Mrs. T. in der Stadt übernachtet.»
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er mir damit sagte.
«Oh.»
«Es ist gut, dass Sie da sind. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Will besser aussieht, komme ich erst morgen früh.»
Es gibt normale Zeiten und solche, in denen die Stunden nicht zählen. Dann bleibt die Zeit stehen und entgleitet einem, und das Leben – das richtige Leben – scheint sich von einem zurückgezogen zu haben. Ich setzte mich ein bisschen vor den Fernseher, aß, räumte die Küche auf und lief durch den stillen Anbau. Schließlich ging ich wieder in Wills Zimmer.
Er hob den Kopf, als ich die Tür zumachte. «Wie viel Uhr ist es, Clark?»
«Viertel nach acht.»
Er ließ seinen Kopf zurücksinken, als müsste er darüber nachdenken. «Kann ich etwas zu trinken haben?»
Es lag keine Schärfe in seiner Stimme, keine Bissigkeit. Es war, als hätte ihn die Krankheit verletzlich gemacht. Ich gab ihm etwas zu trinken und schaltete die Nachttischlampe an. Ich beugte mich über sein Bett und legte die Hand auf seine Stirn, so wie es meine Mutter bei mir getan hatte, als ich noch klein war. Er hatte immer noch etwas erhöhte Temperatur, aber im Vergleich zu vorher war das gar nichts.
«Kühle Hände.»
«Heute Mittag haben Sie sich noch darüber beschwert.»
«Wirklich?» Er klang völlig überrascht.
«Möchten Sie ein bisschen Suppe?»
«Nein.»
«Haben Sie es bequem?»
Ich wusste nie, wie er sich wirklich fühlte, aber ich vermutete, es war schlimmer, als er zugab.
«Es wäre gut, wenn ich auf der anderen Seite liegen könnte. Rollen Sie mich einfach herum. Ich muss mich dazu nicht aufsetzen.»
Ich
Weitere Kostenlose Bücher