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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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pudrigen Hügellandschaften auf die Fensterbretter legte. Um halb zwei schrieb mir Mum in einer SMS, dass mein Vater nicht mit dem Auto auf die Straße kam. «Mach dich nicht auf den Heimweg, ohne uns vorher anzurufen», befahl sie mir. Ich wusste nicht, was sie dachte, dass sie tun könnte. Wollte sie Dad mit einem Schlitten und einem Bernhardinerhund losschicken?
    Ich hörte mir beim Lokalsender die Nachrichten an. Sie meldeten die Autobahnstaus, die ausgefallenen Züge und die kurzfristigen Schulschließungen, die der überraschende Schneesturm zur Folge hatte. Ich ging wieder in Wills Zimmer und betrachtete ihn. Seine Gesichtsfarbe gefiel mir nicht. Er war blass, aber seine Wangen glänzten feucht.
    «Will?», sagte ich leise.
    Er rührte sich nicht.
    «Will?»
    Panik stieg in mir auf. Ich wiederholte seinen Namen noch zweimal, viel lauter. Keine Reaktion. Schließlich beugte ich mich über ihn. Ich sah keinerlei Bewegung, weder in seiner Miene noch die Atembewegung seiner Brust. Sein Atem. Ich müsste doch seinen Atem spüren können, oder? Ich senkte mein Gesicht ganz dicht an seines und versuchte, seinen Atem auf der Wange zu spüren. Als ich nichts wahrnahm, hob ich die Hand und berührte sanft sein Gesicht.
    Er zuckte zusammen und schlug die Augen auf, die nur Zentimeter von meinen entfernt waren.
    «Entschuldigung», sagte ich und fuhr zurück.
    Er blinzelte und schaute sich im Zimmer um, als wäre er irgendwo weit weg gewesen.
    «Ich bin’s. Lou», sagte ich, weil ich nicht sicher war, dass er mich erkannt hatte.
    Er sah mich mit milder Verzweiflung an. «Ich weiß.»
    «Möchten Sie ein bisschen Suppe?»
    «Nein. Danke.» Er schloss die Augen.
    «Mehr Schmerzmittel?»
    Ein leichter Schweißfilm lag auf seinen Wangen. Ich streckte meine Hand nach der Bettdecke aus. Sie fühlte sich etwas heiß und verschwitzt an. Ich wurde nervös.
    «Kann ich irgendetwas tun? Ich meine, falls es Nathan bei dem Schnee nicht hierherschafft?»
    «Nein … Mir geht’s gut», murmelte er und schloss erneut die Augen.
    Ich blätterte durch den Folder, versuchte herauszubekommen, ob ich irgendetwas übersah. Ich schloss das Medikamentenschränkchen auf, schaute in die Schachteln mit den Latexhandschuhen und Gazeverbänden, und mir wurde klar, dass ich keine Ahnung hatte, was genau man damit anfing. Ich versuchte, Wills Vater über die Gegensprechanlage zu erreichen, aber das Klingeln hallte durch ein leeres Haus. Ich hörte es hinter der Verbindungstür des Anbaus.
    Ich wollte gerade Mrs. Traynor anrufen, als die Hintertür geöffnet wurde und Nathan hereinkam. Er trug mehrere Lagen dicker Kleidung, hatte sich den Schal so um den Kopf gewickelt, dass von seinem Gesicht kaum noch etwas zu erkennen war, und brachte einen eiskalten Luftzug und ein paar Schneeflocken mit herein.
    «Hey», sagte er, schüttelte den Schnee von seinen Stiefeln und knallte die Tür zu.
    Es kam mir vor, als wäre das Haus plötzlich aus einem Traumzustand erwacht.
    «Gott sei Dank, dass Sie da sind», sagte ich. «Es geht ihm nicht gut. Er hat fast den ganzen Vormittag geschlafen und wollte kaum etwas trinken. Ich wusste nicht, was ich tun soll.»
    Nathan schlüpfte aus seinem Mantel. «Ich musste den ganzen Weg zu Fuß gehen. Die Busse fahren nicht.»
    Ich begann, Tee für ihn zu kochen, während er nach Will sah.
    Als er wieder auftauchte, kochte noch nicht einmal das Teewasser. «Er glüht ja», sagte er. «Wie lange ist das schon so?»
    «Den ganzen Vormittag. Ich fand auch, dass er sich sehr warm anfühlt, aber er hat gesagt, er will einfach nur schlafen.»
    «O Gott. Den ganzen Vormittag? Wissen Sie denn nicht, dass er seine Körpertemperatur nicht regulieren kann?» Er schob sich an mir vorbei und begann, in dem Medizinschränkchen herumzuwühlen. «Antibiotika. Die starken.» Er drückte mehrere Tabletten aus der Verpackung in den Mörser und begann, grimmig sie zu zermahlen.
    Ich wich nicht von seiner Seite. «Ich habe ihm Paracetamol gegeben.»
    «Da hätten Sie ihm genauso gut ein Smartie geben können.»
    «Ich wusste es doch nicht. Niemand hat mir etwas gesagt. Ich habe ihn noch extra zugedeckt.»
    «Es steht in dem Folder. Verstehen Sie, Will schwitzt nicht wie wir. Genau genommen schwitzt er überhaupt nicht, von seiner Verletzung abwärts. Das bedeutet, dass seine Temperatur schon bei einer leichten Erkältung verrücktspielt. Holen Sie den Ventilator. Wir lassen ihn in seinem Zimmer laufen, bis die Körpertemperatur runtergeht. Und

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